Die wilden Welten von Matt Ruff (2): Das Gespräch in Frankfurt am Main, Februar 2008.
Erstellt von molosovsky um 15:07
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Für
»Magira 2008« habe ich anders als in den Jahren zuvor und danach keine Sammelrezension geliefert, sondern mich auf das Werk eines einzigen Autors – Matt Ruff – konzentriert.
Für die Molochronik-Leser habe ich diesen langen Beitrag in zwei Teilen aufbereitet.
Teil eins enthält meinen persönlich gefärbten Werküberblick zu den wilden Welten von Matt Ruff.
Wie immer habe ich den Herausgebern Michael Scheuch und Hermann Ritter, den Korrekturlesern und Layoutern von »Magira« für ihre Unterstützung zu danken. Besonderen Dank schulde zudem ich dem Hanser-Verlag für seine Aufgeschlossenheit, sich auf einen Amateur-Journalisten wie mich einzulassen, und natürlich danke ich Matt Ruff selbst für seine Großzügigkeit und seine Hilfe bei der Nachbearbeitung des Interviews.
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Eintrag No. 593 — MOLO: Willkommen in Europa. Bist Du gerne unterwegs auf Reisen?
MATT RUFF: Jeder Reiseanlass kommt mir sehr gelegen. Bisher bin ich in Paris gewesen, auch wenn keine Lesungen stattgefunden haben. Man erzählte mir, dass die Franzosen ungern Lesungen in fremden Sprachen veranstalten, was mich etwas verblüfft hat.
Zwischen den Lesungen und Interviews hatte ich ein wenig Gelegenheiten für Stadtbesichtigungen, aber die Europatour ist ein Arbeitsaufenthalt. Da habe ich leider nicht wirklich Zeit die Dinge um mich herum entspannt zu genießen.
MOLO: Hattest Du Gelegenheit Deiner Familiengeschichte nachzuspühren? Du hast ja deutsche Vorfahren.
MATT RUFF: Richtig. Beide Seiten meiner Familie stammen ursprünglich aus Deutschland. Die am weitesten zurückreichenden Vorfahren der Familie meiner Mutter stammen aus Öttingen. Zu gerne hätte ich den Ort besucht, aber es war leider keine Zeit dafür.
Ich war ja schon zweimal in Deutschland auf Lesereise: 1991 mit »Fool on the Hill« und 1998 mit »G.A.S – Die Trilogie der Stadtwerke«. 1998 habe ich 20 Städte abgeklappert und bei sechs Lesungen saß ich zusammen mit Franka Potente auf der Bühne. Das war kurz bevor »Lola Rennt« in die Kinos kam, und Franka war zwar schon bekannt, aber eben noch nicht so berühmt wie sie durch diesen Film dann wurde. Es war ziemlich spaßig.
MOLO: Ich kann mich an die 1998-Tour erinnern. In den Tiefen der Internet-Archive kann man ein damaliges hervorragendes Interview von Dir mit Susanne Bach finden: »Writing and writing and writing: Derrida in Hell«.
Aber nun zu Deinem jüngstem Buch. Du sagst, dass »Bad Monkeys« Dein ›Philip K. Dick-Roman‹ ist. Wie würdest Du das literarische Vermächtnis von Philip K. Dick für jemanden beschreiben, der nichts über ihn weiß?
MATT RUFF: Einen Roman als ›Philip K. Dick-Roman‹ zu bezeichnen, ist für mich eine Abkürzung um zu beschreiben, dass es sich dabei um ein Buch handelt, in dem die Wirklichkeit der Welt, und/oder auch die Identität der Hauptfigur in Frage gestellt wird. Dick hat sehr gerne Geschichten erzählt, in denen sich entpuppt, dass alles was die Hauptfigur über sich selbst zu wissen glaubt, oder was sie über die Welt annimmt, sich als falsch erweist, und wie diese Figuren dann damit zurechtkommen und wie sie zu ergründen versuchen, was wahr ist. In »Bad Monkeys« erzählt eine Frau einem Psychiater ihre Geschichte, und ihre Schilderungen könnten Lügen, oder Wahnvorstellung oder etwas völlig anderes sein. Die Bezeichnung ›Philip K. Dick-Roman‹ bot sich also als passende Beschreibung an.
MOLO: Apropos Dick. Hat Dir die Verfilmung von »A Scanner Darkly« gefallen?
MATT RUFF: Eigentlich nicht. Ich blieb auf seltsame Weise von ihr unberührt. Das Buch ist ziemlich gut und sehr lustig. Es gehört zu den am besten geschriebenen Büchern von Dick. Ihm gelingt es dort sehr gut jene geistlosen Unterhaltungen zu schildern, die Leute auf Drogen miteinander haben, und steigt dabei in einen Wahnsinn hinab, der sich durch einen übermäßigen Konsum schlechter Drogen auftut. Der Film aber funktioniert aus verschiedenen Gründen nicht. Es gelang ihm nicht, mich so wie das Buch mitzunehmen, was schade ist. Aber das ist bei vielen Filmen die auf Dicks Büchern basieren der Fall. Warum auch immer, sie nehmen ihr Publikum nicht mit. Die Filme die aus Dicks Kurzegschichten statt seinen Romanen gemacht wurden, sind in der Regel besser, auch wenn ich nicht sicher bin, woran das liegt. Vielleicht zwingt das Filmemacher dazu etwas kreativer zu sein und die Vorlage zu einer gut ausgewogenen Geschichte zu entwickeln.
MOLO: Ich denke das liegt daran, dass Sprache immer noch die wirkungsvollste Art ist eine narrative Welt zu errichten und eine Geschichte zu erzählen. Filme neigen dazu, mehr als ein Spektakel für die Sinne zu funktionieren. Erst mit dem serialen Erzählen von TV-Sendungen wie (um jüngere Beispiele zu nennen) »Deadwood« oder »The Sopranos« hat sich im anglo-amerikanischen Fernsehen so etwas wie eine anspruchsvollere »Telenovela de luxe«-Strömung entwickelt. Da gibt es dann genug Zeit und Raum um Perspektivwechsel zu bieten und die verschiedenen Figuren und ihre Hintergründe genauer darzustellen.
MATT RUFF: Interessant. Ein Autor den ich sehr bewundere, Richard Price, hat ein Buch namens »Clockers« geschrieben, das Spike Lee verfilmt hat. Ihm ist womöglich die beste Zweistunden-Filmversion des Buches gelungen, die möglich ist, und trotzdem kam ich aus dem Kino und dachte mir: »Das war es nicht wirklich. Man hätte mindestens acht Stunden, vielleicht sogar zwölf gebraucht um den Roman angemessen gerecht zu werden.«
MOLO: Zurück zu Dick. Was war für Dich wichtig daran, einen ›Philip K. Dick-Roman‹ zu schreiben, und was waren Deine Hoffnungen und Ängste was diese Ambition betrifft?
MATT RUFF: Ich glaube nicht, dass ›wichtig‹ das richtige Wort ist. Ich hatte diese Idee für eine Geschichte, und die Art sie zu erzählen. Das als ›Philip K. Dick-Roman‹ zu beschreiben war dabei ein passendes Kürzel für das, was ich im Sinn hatte. Dann spielte ich eine Weile mit dem Gedanken, die Hauptfigur Phil zu nennen, als eine Art Homage. Schließlich fand ich heraus, dass Dick eine Zwillingsschwester namens Jane Charlotte hatte, die im Babyalter gestorben ist, deren Präsenz aber Dick sein Leben lang verfolgt hat. Um auf das Buch »A Scanner Darkly« zurückzukommen: An einer Stelle der Geschichte widmet ein Radio-Moderator ein Lied »Phil und Jane«, was eine von vielen Anspielungen von Dick auf seine Schwester. Thematisch schien es also äußerst passend, die Hauptfigur Jane Charlotte zu taufen und ihr einen Bruder namens Phil zu geben, der real ist oder auch nicht. Beim Lesen von »Bad Monkeys« ist das eine wichtige Angelegenheit. Es passte also. Während der Entwicklung eines Romanes stolpert man über solche Dinge und denkt sich: »Das fügt sich gut. Das passt sehr gut zur Intention der Geschichte. Dadurch wird es besser.« Als ich dann zu schreiben begann war die Stimme von Janes Figur genau richtig.
MOLO: In Deiner Danksagung zu »Bad Monkeys« erwähnst Du Laurence Sutin der eine wunderbare Biographie über Philip K. Dick geschrieben hat »Göttliche Zwischenfälle« (Frankfurter Verlagsanstalt, Leider vergriffen).
MATT RUFF: Durch dieses Buch habe ich von Jane Charlotte erfahren.
MOLO: Ich kann mich nur an wenige andere Biographien erinnern, die so bewegend waren wie Sutins Buch. — Mich würde interessieren, wie Du Philip K. Dick beschreiben würdest. Erst in den letzten Jahren steigt sein Ansehen bei uns auch außerhalb der SF-Genreleserkreise. Es ist eine glückliche Fügung, dass zur gleichen Zeit wie »Bad Monkeys« nun Dicks Kurzgeschichten endlich komplett und gut editiert auf Deutsch (bei Zweitausendeins) veröffentlicht werden, nachdem sie nur vereinzelt gedruckt zu haben, bzw. lange vergriffen waren.
MATT RUFF: Tatsächlich bin ich ja der Ansicht, dass Dicks Kurzgeschichten viel besser sind als seine Romane. Er war einer dieser Autoren, die mit einer überschaubaren Länge besser zurecht gekommen sind, weil er, wie ich vermute, nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne hatte.
MOLO: Vielleicht lag das an seinem Amphetaminproblem.
MATT RUFF: Das spielt da auch mit hinein. Bis auf einige Ausnahmen finde ich, dass seine Romane an logischen Handlungsunzulänglichkeiten kranken, und so etwas macht mich kirre, denn diese Makel seiner Romane scheinen mir weniger auf bewussten künstlerischen Entscheidungen, als vielmehr auf Schlamperei und Aufmerksamkeitsfehlern zu beruhen. Einfach ärgerlich.
Ich mag Fiktionen mit Ambiguität. Ich mag es, wenn ich als Leser nicht sicher sein kann was genau geschieht, aber ich will schon das Gefühl haben, dass der Autor weiß was er will, dass er einem Plan folgt, auch wenn ich selbst die Lösung nicht sehe, wenn es eine Lösung gibt. Wenn Leute wie Dick oder David Lynch dann etwas vorlegen, bei dem man sich dann denkt, dass es keine Möglichkeit gibt das logisch plausibel zu erklären, kann einen das ziemlich aufregen.
MOLO: Du erwähnst Lynch. »Lost Highway« ist ja ein berühmt-berüchtigtes Beispiel einer Geschichte, über die viel debattiert wird wegen der Dinge, die wir Zuschauer nicht deutlich gezeigt oder erklärt bekommen, die wir nicht auf der Leinwand sehen.
MATT RUFF: Dazu muss ich sagen, dass David Lynch einer der unterhaltsamsten Erzähler von unplausiblen Geschichten ist. Selbst dann, wenn seine Filme beginnen absolut keinen Sinn mehr zu ergeben, können sie sehr hypnotisch sein, wenn man in der richtigen Stimmung ist. Aber ich ziehe es vor das Gefühl zu haben, dass einer Geschichte eine plausible Logik zugrunde liegt, auch wenn mir nicht gewährt wird, alles zur Gänze zu verstehen.
MOLO: Denkst Du, dass es einen großen Unterschied zwischen realistischen und phantastischen Geschichten gibt, wenn es darum geht koherente Plausibilität zu erreichen? »Ich und die Anderen« ist für mich z.B. ein phantastischer Roman, trotzdem er in einem realistischen Weltenbau im Hier und Heute spielt, und keine augenfälligen Wunderlichkeiten vorkommen. Man muss nur die gewohnte SF-Perspektive ändern, weg von technisch-utopischen Spekulationen hin zu Spekulationen über Innere Welten und die Beschaffenheit des Ichs um den Roman als SF oder ›Psycho-Fantasy‹ zu lesen.
MATT RUFF: Das stimmt. »Ich und die Anderen« ist sicherlich Science-Fiction-haft in dem Sinne, dass der Roman das Phänomen der Multiplen Persönlichkeit in etwa so erforscht, wie es ein SF-Autor machen würde.
MOLO: Und es gibt eine Fantasy-Ebene mit der Queste zu den Geheimnissen der Vergangenheit und den Nebenwelten im Bewußtsein der Figuren.
MATT RUFF: Tatsächlich bin ich der Ansicht, dass kein großer Unterschied zwischen SF/Fantasy und realistischen Fiktionen besteht, denn auch den Geschichten der phantastischen Genre müssen bestimmte Regeln zugrundeliegen, auch wenn diese Regeln anders sein können. Auch bei phantastischen Geschichten, zumindest wenn sie halbwegs interessant sein sollen, muss unterschieden werden was möglich ist und was nicht, und die Dinge müssen einen Sinn ergeben.
Clive Barker hat einen Roman namens »Weaveworld« (»Gewebte Welt«) geschrieben, und ich bin über die ersten 10 bis 15 Seiten nicht hinausgekommen, denn da stürzt der Protagonist zu Beginn in eine andere Welt in einen Teppich. Bei der Beschreibung der Landschaft in diesem Teppich auf den ersten paar Seiten war für mich sehr deutlich zu spüren, dass Barker hier alles mögliche zusammenflickt wie es ihm gerade passt und wie es ihm gerade einfiel. Was auch immer ihm gerade zu passen scheint, geschieht einfach. Das reizt mich nicht. Auch andere Phantastikgeschichten die ich las, und bei denen es keinen schmalen Grat zu geben schien, was möglich und was unmöglich ist, mochte ist deshalb nicht. Ich mag Geschichten die zugrunde liegenden Regeln folgen, und die nicht einfach ins Blaue fabulieren.
Da fällt mir eine Lieblingsstelle aus Stephen Kings »The Dead Zone« ein. Da ist dieser Mann, der nach einem langen Koma mit der Fähigkeit erwacht, die Zukunft vorherzusehen. In diesem Roman sind also übermenschliche Psychofähigkeiten real. Zugleich aber hat dieser Kerl eine Mutter die daran glaubt, dass Außerirdische auf der Erde gelandet sind, und sie wird als irre beschrieben. Ich erinnere mich, wie ich damals von dieser Idee angetan war, dass es, obwohl es sich um einen phantastischen Roman handelt, immer noch möglich, dass Figuren an verrückte Sachen glauben, die unrealistisch sind. Das fand ich richtig cool, wie King hier vermittelt, dass es immer noch Grenzen des Möglichen gibt, auch wenn diese Grenzen anders gezogen sind, als man gemeinhin glaubt.
MOLO: Meiner Ansicht nach gehört genau das zu den größten Stärken der phantastischen Literatur, dass sie die Wachsamkeit der Leser für Grenzen zu schärfen vermag. Ich selbst mag die ›alles ist möglich‹-Ästhetik und bin der Meinung, dass es den phantastischen Erzählweisen dabei zum Beispiel spielender gelingt, Komisches und Ernsthaftes miteinander zu kombinieren.
MATT RUFF: Sicherlich gehört zu den Dingen, die man in phantastischen Fiktionen anstellen kann, dass man unhinterfragte Annahmen auf den Kopf stellen und damit in Frage stellen kann. Was das Kombinieren von Komik und Ernsthaftigkeit betrifft, so lässt sich das in der Phantastik wohl tatsächlich leichter erreichen, aber ich glaube dennoch, dass sich auch bei realistischen Schreibweisen recht einfach ist, Humor zu finden.
MOLO: Es kommt dabei dennoch zu Unklarheiten. Nehmen wir »G.A.S.«: ich bin auf Auslegungen gestoßen, in denen die Leser glauben, dass Du mit diesem Roman ein hymnisches Lob auf Ayn Rand und ihren Objektivismus vorgelegt hast, wogegen andere Leser (einschließlich mir selbst) erwidern würden: »Nein, nein. Matt macht sich lustig über Rand und führt vor, wie kaltherzig und vernagelt ihre so genannte Philosophie ist. Jedoch zollt er zugleich der Person Ayn Rand seien Respekt, denn man muss zugestehen, dass sie eine faszinierende Charakterstärke inne hatte«.
MATT RUFF: Oh, natürlich mache ich mich lustig über Rand, aber ich habe mir viel Mühe gegeben dabei nicht zu gehässig oder abfällig zu sein, was einige Leser verwirrt hat. Man kann über jemanden lachen und dennoch Respekt für die Person zeigen., und ich respektiere Rand sehr. Sie ein cleverer, talentierter und interessanter Charakter. Sie hat sich jedoch meiner Ansicht nach in vielerlei Hinsicht gewaltig geirrt, aber weißt Du: Ich irre mich auch oft.
MOLO: In Bezug auf die ernsthaften Aspekte habe ich beobachtet, dass manche Leser bei »Ich und die Anderen« vor dem Thema Kindesmissbrauch zurückschreckten, aber jeder, der den Mut aufbrachte sich trotzdem auf den Roman einzulassen und ihren gelesen hat äußerte Bewunderung für die umsichtige Art und Weise, wie Du diese Facette behandelt hast.
MATT RUFF: Es gibt eine Stelle in »Ich und die Anderen« über eine der Figuren des Romanes, die herausbekommen will, »wie man das Böse anerkennt, ohne davon aufgefressen zu werden«. Das ist, denke ich, eine der wichtigsten Funktionen von Humor: uns mit schrecklichen Dingen fertig werden zu lassen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Man muss natürlich achtsam sein, dass man dabei das in Frage kommende Problem nicht verharmlost und trivialisiert, doch wie es scheint, habe ich eine ganz gute Ader dafür die Balance zu wahren.
MOLO: Zurück zu »Bad Monkeys«. Als ich zu den Mottis des Roman recherierte stieß ich auf <a href=""de.wikipedia.org target="_blank" title="Zum deutschen Wiki-Eintrag.">H. L. Mencken und war überrascht als ich entdeckte, dass dieser amerikanische Journalist über den John Scopes-»Monkey«-Prozess von 1925 berichtete, bei dem sich Kreationisten und Darwinisten beharkten. War es Deine Absicht auf diesen ›Affenzirkus‹ anzuspielen, als Du Dich für Menckens Zitat als Motto entschieden hast?
MATT RUFF: Nein, aber das ist witzig. Was für ein glücklicher Zufall, daran habe ich gar nicht gedacht. Wirklich schön. Passt. — Das Zitat von Mencken mag ich sehr.{01}
MOLO: Als aufmerksamer Fan Deiner und Neal Stephensons Arbeit habe ich einige Verbindungen zwischen Euch entdeckt. Deine Frau, Lisa Gold, hat Neals »Barock-Zyklus« Korrektur gelesen, Du erwähnst Neal in Deinen Danksagungen von »Ich und die Anderen« und »Bad Monkeys« und (last but not least), Eure Schwertkampf-, Flaschenköpf-Sessions, von denen sich auf Deinen und Neals Websieiten Photos finden.
MATT RUFF: {Lacht}
MOLO: Magst Du etwas erzählen über Deine Freundschaft mit Neal?
MATT RUFF: Neal und ich sind gute Freunde. Ich habe z.B. das Manuskript von Neals neustem Roman (»Anathem«) als Reiselektüre dabei. Ein tolles Buch, ich habe noch einige hundert Seiten vor mir. Ein dickes Buch.
Neal war mir bereits bekannt lange bevor wir uns begegnet sind. Der Verlag Atlantic hat seinen Roman »Zodiac« im gleichen Quartal veröffentlicht wie »Fool on the Hill«. Mein Lektor bei Atlantic gab mir »Zodiac« mit den Worten: »Dieser Kerl schreibt ein bischen so wie Du. Ich glaube, es wird Dir gefallen.« Das hat es auch. Ein paar Jahre später las ein anderer Freund, der nichts von »Zodiac« wußte, dann »Snow Crash« von diesem Typ namens Stephenson, und mir gesagt: »Das erinnert mich an Deine Sachen«. Mein Freund gab mir »Snow Crash«, das ich ebenfalls sehr gut fand und ich kam drauf, dass es von dem gleichen Kerl stammt wie »Zodiac«. Ich dachte mir, dass Neal und ich in der gleichen Richtung unterwegs sind, und dass wir uns wohl für ähnliche Dinge interessersieren. Als dann die Veröffentlichung von »G.A.S.« nahte, bat ich meinen Verleger Neal eine Kopie des Manuskriptes zu schicken, falls er einen Empfehlungsspruch für den Buchumschlag beisteuern will. Neal mochte das Buch und er schrieb einen Blurb. Als ich dann auf der Lesetour von »G.A.S.« in Seattle war, frug ich ihn, ob wir uns treffen können und wir landeten in einem Sushi-Restaurant und so begann unsere Freundschaft.
Als meine Frau und ich dann ein paar Jahre später nach Seattle übersiedelt sind, nahm ich wieder Kontakt mit Neal auf. Er lud uns zu sich nach Hause ein und seitdem verbringen wir Zeit zusammen. Spätestens seit seiner Arbeit am »Barock-Zyklus« interessiert sich Neal sehr für die Schwertkämpferei des Mittelalters und der Renaissance. Bei vielen Treffen haben wir verschiedenste Sachen ausprobiert, aber erst seit kurzem verwenden wir richtige Stahlklingen und Rüstungen.
Mit Neal befreundet zu sein ist aufregend, denn er kennt eine Menge interessante Leute. Manche sind Schriftsteller, andere Kryptographen. Man weiß nie, wem man begegnet, wenn man von Neal zum Essen eingeladen wird.
MOLO: In früheren Interviews hast Du Unbehagen darüber geäußerst, einer bestimmten literarischen Gruppe anzugehören oder zugerechnet zu werden. Als ich aber die Schwertkampf-Photos von Neal und Dir im Internet sah, dachte ich mir sofort: »Jupp, die zwei passen zusammen.«
MATT RUFF: Wovon ich Abstand nehme, wenn Leute von Literatenkreisen reden, ist sowas wie ›Dorothy Parker und ihr lasterhafter Kreis‹, also Menschen die zusammenkommen nur um über Bücher zu debattieren. Natürlich plaudern Neal und ich manchmal über unsere Sachen, zum Beispiel wenn er mich fragt, woran ich gerade arbeite und wie es vorangeht und umgekehrt. Aber Schreiben ist eine ziemlich solitäre Angelegenheit. Da sitzte ich alleine zuhause in meinem Zimmer und Neal sitzt bei sich zuhause alleine in seinem Zimmer. Er und ich reden nicht viel über das, was wir da tun, nicht in dem Sinne, dass wir uns gegenseitig direkt beeinflussen. Wir zeigen uns nicht im Werden befindliche Manuskripte. Sein neustes Buch lese ich als Manuskript, weil ich Lust habe es zu lesen und weil es fertig ist. Neal und ich bilden also keinen kleinen literarischer Salon, wie es der Fall ist, wenn Autoren sich zusammensetzten um miteinander gemeinsam ›Literatur zu machen‹. Das zumindest stelle ich mir vor, wenn man von einer Literatur-Szene oder literarischen Kreisen spricht, und bei so etwas bin ich lieber nicht dabei. Es ist aber sicherlich einfacher Autoren zu begegnen, deren Werk man kennt und bewundert. Mit Neal verbindet mich mehr eine persönliche Freundschaft und weniger eine Arbeitsfreundschaft.
MOLO: Um beim Thema Internet-Auftritt zu bleiben. Mir sind nicht viele Autoren bekannt, die so wie Du schon früh begonnen haben, ihren Lesern einen großzügigen Rundgang hinter die Kulissen in die kreative Werkstatt zu gewähren.
MATT RUFF: Tatsächlich? Ich dachte, dass das jetzt mit Blogs viele machen.
MOLO: Mein Eindruck ist, dass Autoren das Internet vor allem als Nebenbühne nutzen, um den Lesern ergänzendes Material zu bieten, wie Landkarten oder Glosare, mehr noch aber, um selbst etwas für die Buch-PR beizutragen. Mittlerweile beglückt jedoch eine ganze Reihe von Autoren ihre Leser mit großzügiger Offenheit, etwa Neil Gaiman, Charles Stross, Hal Duncan mit ihren Blogs, oder auch Neal mit seinem »Barock-Zyklus«-Metawebwiki, aber mir scheint, Du bist da ein Pionier. Ansonsten sind kaum jemand so freimütig wie Du, um z.B. über Geheimnisse zu sprechen wie »Bücher die ich nicht fertig geschrieben habe« oder »Musik die ich beim Schreiben gehört habe«, oder um anhand von Beispielen die verschiedenen Arbeitsphasen eines Manuskripts zu zeigen.
MATT RUFF: Das mache ich aus Spaß an der Sache und das gehört zu den Freuden, wenn man eine eigene Website betreut. Es bereitet mir Vergnügen, auf diese Weise die Dinge die ich getan habe zu dokumentieren, auch wenn aus ihnen keine Bücher geworden sind. Kann sein, ich mache das erst mal nur für mich, um meine Aufzeichnungen zu organisieren. Aber mir ist klar, dass sich die Leser dafür interessieren, immerhin sind das ja auch die Sachen, auf die ich als Leser neugierig bin bei den Autoren, die mich beschäftigen. Meine Website zu pflegen macht mir Spaß.
MOLO: Zur vielleicht ernstesten Frage. Fühlst Du Dich wohl, wenn ich Dich als einen Schriftsteller beschreibe, der zu einer Avantgarde gehört, wenn es um das Geschichtenerzählen im Zeitalter des Infowars geht, wo wir alle als Global-Bürger damit zu ringen haben, in wen oder was wir unser Vertrauen investieren?
MATT RUFF: Damit fühle ich mich soweit wohl, als dass in meinen Geschichten, sicherlich zumindest bei »Bad Monkeys«, dieses Problem zur Sprache kommt. Obwohl ich mich auf dieses Problem mit meinen Geschichte beziehe, steht für mich aber die Erzählung im Vordergrund. Doch für mich ist dabei ein wichtiger Aspekt der Geschichte, dass sie einige Tiefe und Relevanz birgt. Ich scheue davor zurück zu erklären, dass meine Geschichten eine bestimmte versteckte Botschaft transportieren sollen, aber ich bin sehr dafür, dass ein Roman Anliegen hat oder Themen anklingen lässt, die sehr viel mit den aktuellen Zeitgeschehen zu tun haben. In »Bad Monkeys« zum Beispiel trifft man auf das Thema der allgegenwärtigen Überwachung und des Kampfes gegen das Böse, worin sich offensichtlich auf verschiedene Art und Weise der gegenwärtige ›War on Terror‹ widerspiegelt. Ich schätze, dass ich mich mit Deiner Beschreibung ganz gut zurecht komme, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich das selbst so ausdrücken würde.
MOLO: Ich bin zu ernst und streng?
MATT RUFF: Das ist es wohl. Ein bischen zu ernst für meinen Geschmack. Es ist nicht so, dass ich mir selbst einrede: »Ich werde diesen oder jenen Aspekt des modernen Lebens kommentieren«. Eher schon ist es so, dass ich etwas schreibe und dann merke »Hmmm, ich habe da diese coole Idee zu einem Überwachungssystem die sehr stimmig ist, denn genau solche Entwicklungen finden ja derzeit statt.«
Eine Facette meines Schreibens ist, dass ich eher intuitiv arbeite, und weniger direkt und bewusst Ideen einbaue die in Bezug zur aktuellen Weltlage sinnvoll sind.
Wenn ich einen unmittelbaren Kommentar zur Weltlage geben wollte, würde ich einen Sachtext schreiben. Fiktionen haben zuerst mal damit zu tun eine Geschichte zu erzählen und dabei verschiedene Seitenblicke auf die ernsten Vorgänge zu werfen, die gerade in der Welt stattfinden.
MOLO: Für meinen Geschmack bist Du ein hervorragender phantastischer Autor, wenn man die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Phantasie »(vor dem geistigen Auge) erscheinen lassen« zugrunde legt. Jeder Künstler spielt auf dem Publikum, wie ein Musiker ein Instrument spielt. Desto besser ein Autor ist, um so besser ist die Kopfmusik die er mit seinen Büchern beim Publikum hervorzurufen vermag.
Du hast schon in früheren Interviews gesagt, dass Du zwar Deine Geschichten sehr aus dem Bauch heraus schreibst, aber dabei doch äußerst großen Wert darauf legst, umsichtig und mit Akribie den Erzählablauf und die Details auszuarbeiten und aufeinander abzustimmen.
MATT RUFF: Sicherlich lege ich großen Wert darauf zu wissen wohin die Reise geht. Die gegenteilige Art zu Schreiben hat Stephen King einmal beschrieben, und für mich mutet diese Haltung sehr seltsam an. Er macht eine große Sache daraus, dass er niemals weiter als ein paar Seiten im Voraus weiß, was geschehen wird. Wenn King über den Vorgang des Schreibens spricht, dann benutzt er Metaphern die mit Entdeckung und Erforschung zu tun haben. Er spricht über einen Roman wie über etwas, das bereits irgendwo in der Welt vorhanden ist, was er nur noch finden muss. Das fertige Stück ist schon da, er muss es nur noch ausgraben. Bei mir ist anders: »Nein, der Roman ist solange nicht da, bis ich ihn zusammensetzte.«
Natürlich entwerfe ich Teile eines Romans schon bevor ich anfange ihn zu schreiben. Ich bin mir sehr bewußt, dass ich als Ausführender die Kontrolle über den Aufbau eines Buches habe, und dass ich bestimmte Entscheidungen treffen muss. Das lässt sich auf verschiedene Art bewerkstelligen. King aber beschreibt das z.B. mit der Metapher, dass der Roman wie eine Burg ist, in die er einzubrechen versucht, und dass es eben viele Weg gibt und er nur einen finden muss der funktioniert. Ich würde das anders umschreiben: »Nein, für mich gibt es nur ein Bündel von Entscheidungen mit dem ich zufrieden bin, woraus sich dann die bestmögliche Romanform für diese oder jene Geschichte ergibt.« Mir ist aber klar, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte, wie man eine Geschichte hätte erzählen können, andere Wege, die man hätte wählen können. Einige davon wären vielleicht genauso reizvoll gewesen. Solang man an einem Buch arbeitet bleibt immer reichlich Spielraum während der Reise für Inspiration, Zufälle und Entdeckungen, es ist eben ein kreativer Vorgang.
MOLO: Das erinnert mich an die Unterscheidung von Schopenhauer, der Schriftsteller in drei Klassen einteilt. Am häufigsten und schwächsten sind die Parasiten, die ab- und zusammenschreiben, was andere bereits gedacht und geschrieben haben. Die schon selteneren Jäger und Sammler denken dann, während sie schreiben, aber am seltesten und löblichsten sind jene Autoren, die nachgedacht haben, bevor sie sich ans Schreiben machen.
MATT RUFF: Ich bin nun mal besessen davon und sehr pedantisch, wenn es darum geht, dass alles stimmt und richtig klingt. Deshalb brauche ich auch so lange für meine Bücher.
MOLO: Mit dem wilden Mischmasch den Du dabei kreierst stößt Du bei den deutschen Feuilleton-Kritikern immer wieder auf Zurückhaltung. Ein Argument, das dabei immer wieder vorgebracht wird, lautet, dass Du Geschichten voller Dinge schreibst, die man als Zehnjähriger toll und aufregend fand …
MATT RUFF: … als ob das eine schlimme Sache wäre.
MOLO: Manche Kritiker neigen dazu das als schlecht anzutun, auch wenn sie dann zugestehen, dass man es Dir durchgehen läßt, weil Du Deine Sache so kunstvoll machst. Für mich bereiten Deine Bücher das größte Vergmügen damit, dass einerseits die schrägsten Genre- und Popkultursachen vorkommen, die dann z.B. »Star Wars« oder Zeichentrickfans wiedererkennen können, dass Du aber andererseits dabei immer auch sehr ernste Geschichten erzählst. Nicht zuletzt traust Du Dich damit, Deinen Leser Rätsel und Ungewissheiten zu präsentieren.
MATT RUFF: Tatsächlich mag ich es sehr, die unterschiedlichsten Dinge in einem Roman zusammenzubringen, zu zeigen, wie sie zueinander in Kontrast stehen. Ein Merkmal, vielleicht sogar das auffälligste, meines Schreibens ist es, auf bizarre Weise die verschiedensten Dinge miteinander zu kombinieren, so, wie man es nicht erwarten würde, aber so, dass es dennoch funktioniert. Entsprechend schwer ist es, die Bücher in bestimmte Genre-Schubladen einzuordnen, denn ich mag es nun mal psychologische Thriller, und comichaften Slapstick und abenteuerliche Aktionen und dies und jenes zu verknüpfen … das finde ich toll.
MOLO: Ein besseres Schlußwort kann ich mir nicht wünschen. Vielen Dank, Matt, für das Gespräch.
••• Zu Teil eins mit meiner persönlich gefärbten Werkübersicht..
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ANMERKUNGEN:
01 Das Motto/Zitat lautet:
Gewissen: die innere Stimme, die uns sagt, dass jemand zuschauen könnte.
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Die wilden Welten von Matt Ruff (1): Ein persönlich gefärbter Werksüberblick
{07. November 2009: Der ürsprüngliche Eintrag über »Bad Monkeys« und die Romane von Matt Ruff wurde durch die erweiterte »Magira 2008«-Fassung ersetzt.
}
Für
»Magira 2008« habe ich anders als in den Jahren zuvor und danach keine Sammelrezension geliefert, sondern mich auf das Werk eines einzigen Autors – Matt Ruff – konzentriert.
Für die Molochronik-Leser habe ich diesen langen Beitrag in zwei Teilen aufbereitet. Hier könnt Ihr meinen persönlich gefärbten Werksüberblick zu den bisher vier Roman von Matt Ruff lesen. —
Teil zwei enthält mein Gespräch mit Matt, dass ich anläßlich seiner
»Bad Monkeys«-Deutschlandlesetour im Februar 2008 in Frankfurt führen konnte.
Wie immer habe ich den Herausgebern Michael Scheuch und Hermann Ritter, den Korrekturlesern und Layoutern von »Magira« für ihre Unterstützung zu danken. Besonderen Dank schulde zudem ich dem Hanser-Verlag für seine Aufgeschlossenheit, sich auf einen Amateur-Journalisten wie mich einzulassen, und natürlich danke ich Matt Ruff selbst für seine Großzügigkeit und seine Hilfe bei der Nachbearbeitung des Interviews.
Bei
Wieland Freund möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich seine Schriften stellvertretend im Folgenden als Sandsack für Argumentationsschläge missbrauche.
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Eintrag No. 398 — Vier Bücher in zwanzig Jahren. Das ist an sich schon ein Bekenntnis des US-Autors Matt Ruff (1965), denn die Aufmerksamkeit, die man in der schnelllebigen Medienwelt für ein neues Buch erübrigt, schrumpfte in den letzten Jahrzehnten auf etwa drei Monate, sagen die Marktforscher. Schafft es ein Titel nicht, in dieser Zeit Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, geht es unter, wie es im Marketingunterholz heißt. Deshalb legt eine entsprechende Praxis des Literaturbetriebes Autoren nahe, möglichst stetig im Rhythmus von ein, zwei Jahren neue Werke auszustoßen, sonst, so heißt es entsprechend dieser Denke, drohe man unter zu gehen, vergessen zu werden. Doch es gibt Ausnahmen: Autoren und ihre Romane, die sich durch mündliche Empfehlungen eine treue Leserschaft erschließen können, Bücher, die nicht so recht in eine klare Vermarktungsschublade passen wollen (es sei denn, man bastelt eine eigene Schublade mit dem jeweiligen Autorennamen als Bezeichnung), so genannte Kultbücher.
Matt Ruff hatte es als 23-Jähriger das Glück, mit einem solchen Kultbuch zu debütieren: »Fool on the Hill« (1988). Wohl besser als gelehrige Beschreibungen, veranschaulicht wie ich finde Folgendes, was ein Kultbuch auszeichnet. Als ich vor gut 15 Jahren einem mit Herzeleid und Sinnkrise geschlagenen Freund eine deutsche Taschenbuchausgabe »Fool on the Hill« geschenkt habe, und wir uns nachdem er es gelesen hatte auf einer Fantasy-Con wieder begegneten, raunte mir dieser Freund dankbar zu, wie erstaunlich punktgenau dieser Roman tröstende Kraft und gemütserweiternden Perspektivwechsel gespendet hat. Ruff ist bei Weitem nicht der einzige moderne Phantast, der über die Macht und die Magie des Geschichtenerzählens schreibt, aber als mir mein Freund dann erzählte, dass er abwechselnd dachte, beim Lesen Wahnsinnig oder erleuchtet zu werden und zeitweise den Verdacht hegte, das ich Gott sei, merkte ich auf. Einmal, weil es selbst unter guten Freunden peinlich und beschämend ist, wenn man derart heftige Komplimente entgegenzunehmen hat, dann auch, weil dieses Gespräch auch für mich ein Aha-Erlebnis war. Mein Temperament als vorlauter Skeptiker und Fan des Abstrusen machen es mir schwer mit allzu tröstlichen oder idyllischen Stoffen warm zu werden. »Fool on the Hill« empfahl ich damals gerne, weil der Roman flotten Popkornspaß bietet und dennoch Tiefgang hat, weil er augenzwinkernd Popkulturanspielungen anbringt und auf überraschende Art aus dem System springt, Seitenschritte macht, die mich zu Grübelein und Gedankenwanderungen anregten. Mein Freund machte mir klar, wie wichtig diese Fähigkeit von Romanen sein kann, wenn uns Lesern durch sie reinigende Erregungen, tröstendes Kopfzurechtrücken zuteil wird.
»Fool on the Hill« ist ein ungestümer, leichtfüßig daherkommender Roman, dem es spielend gelingt, romantisches Herzeleid, philosophische Träumerei mit haarsträubenden Äktschn-Passagen und frechem Märchenflair zu vereinen. Die eindeutigste Gernebezeichnung, die man diesem Roman zusprechen kann, lautet ›postmoderne Fantasy‹, oder etwas einfacher ›kunterbuntes Schelmenstück‹. Entstanden ist der Roman als Abschlussarbeit des Studienfachs ›Kreatives Schreiben‹ in der Klasse von Alison Lurie an der Cornell Universität in Ithaca, New York, und diese Uni ist auch der Ort an dem die verschiedenen Handlungsstränge von »Fool on the Hill« angesiedelt sind oder zusammenfinden.
Worum geht es? Zentraler Held ist Stephen Titus George, ein Geschichtenerzähler, also ein Lügner, der eine Hilfsdozentenstelle an Cornell Uni inne hat; der sich optimistisch aber einsam nach der ganz großen Liebe sehnt; der beim Drachensteigenlassen mit Hunden über seine fehlgeschlagenen Liebelein plaudert; der gesegnet ist mit dem Talent durch seinem Tanz den Wind zu beschwören und nicht ahnt, dass er von niemand geringeren als einem über alle Geschehnisse des Romans wachenden griechischen Gott (ebenfalls ein Fabulator aus Leidenschaft) auserkoren wurde, ein Heiliger der Tagträumerei zu sein, ein Drachenbezwinger zur Bewahrung des chaotisch-friedlichen Miteinanders der Campus-Welt in der Nußschale. — »Fool on the Hill« erzählt aber auch die Geschichte von dem naiven Mischlingshund Luther und dem auf ihn aufpassenden Kater Blackjack, die sich von der Süd-Bronx aus aufmachen den Hundehimmel zu finden, und deren Queste, bei der sie den Groll von faschistoischen Hunderudeln auf sich ziehen, sie zur Ithaca-Uni führt. — Schließlich ist das Campusgelände auch die Heimstätte von kleinen Elfenwesen, unter ihnen tollkühne Modellflugzeugpiloten und -Schiffskapitäne, die nächtens Tiere aus dem medizinischen Versuchslabor zu befreien trachten und sich vor der Rückkehr des Koboldmagiers Rasferret und seiner Rattenarmee fürchten. Dieser in der Büchse der Pandora begrabene Wicht vermag Lebloses in golemartige Killermonster zu verwandeln, am schrecklichsten gelingt ihm das mit der horrorverbreitenden Gummibraut, dem Sexpuppenmaskottchen einer von Mittelerde begeisterten Studentengruppe des Tolkienhauses. Davor, daneben und dazwischen tummeln sich viele kleine Geschichten in der Geschichte wie die vom Mann mit der Phobie vor der Zahl 13, dem Einritt der subversiv-anachistischen Bohemier-Studentenkumpel von Stephen in ein Provinzkaff und ihr dortigers Gefecht mit einer Bikergang. Die vielleicht schönsten Eigenschaften von »Fool on the Hill« sind, dass der Roman trotz der ein oder anderen wackeligen Stelle überhaupt funktioniert, und der abenteuerliche, gerade mit der richtigen Priese Melancholie gesprenkelte Optimismus, mit dem der Roman seine Leser entlässt.
Ruffs zweiter Roman »G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerle« (»Sewer, Gas & Electric«, 1997), joungliert ebenfalls mit überraschend vielen verschiedenen Ideen und Themen und ist vielleicht sein unruhestiftenster, ›äktschn‹-reichster und womöglich am planlosesten wirkender Roman (obwohl seine Entfaltung überaus kühn kalkuliert ist).
Oberflächlich betrachtet wird den Lesern hier eine wendungsreiches ›Science Fiction Fantasy Verschwörungsthriller‹-Prosacomic geboten. Die atemberaubenden Tumultszenen von »G.A.S.« wirken auf mich, als ob sie einem der exzellenteren SF-Animes, wie »Akira« oder »Robot Angel«, entfleucht sind. »G.A.S.« ist, was die bitterböse Groteskerie seiner phantastischen Übertreibungen angeht, der satirischste und bittertste Roman von Ruff, was sich vor allem in den Ungeheuerlichkeiten des übertriebenen politisch-gesellschaftlichen Aspekten Weltenbaus niederschlägt. Aber Ruff gibt Acht, dass seine Sprache nicht ausser Rand und Band gerät, sondern er präsentiert seine schrägen Ideen und facettenreichen Diskurse des Buches mit lockerem Ton und lebendigen Reden.
Die Jahre 2023 angesiedelte, jedoch immer weider von Rückblenden unterbrochene Handlung, konzentriert zum einen auf New York, wo der reichste Mann der Welt, der Erfinder und Großindustrielle Harry Gant einen gigantischen neuen ›Babel Tower‹ errichtet hat, zum anderen auf Schauplätze in Florida, den Atlantik und Kalifornien. Gant hat sein unverschämt vieles Geld mit den sogenannten ›Elektronegern‹ verdient, Androiden die groß in Mode kamen, nachdem fast die gesamte schwarzhäutige Weltbevölkerung von einer mysteriösen Seuche ausradiert worden ist. Ein Wall Street-Konkurrent von Gant wurde, wie es scheint, von einem solchen Roboter dem die durch Isaac Asimov bekannten Sicherungen durchgebrannt sind gekillt, was natürlich ganz schlecht für Gants Geschäftsimperium wäre. Also engagiert er der Publicity wegen seine radikalliberale Ex-Frau, die sich zusammen mit einem fast 200 Jahre alten Veteran des Amerikanischen Bürgerkrieges aufmacht, den Mord aufzuklären. — Auch die bunte Ökoterroristentruppe um den begnadeten Saboteur-Künstler Philo Dufrense bereitet mit ihrem bunten Wunder-U-Boot ›Yabba-Dabba-Do‹ dem megareichen Industriekapitän Gant Probleme. Darüberhinaus sorgt ein mutierter Monsterhai namens Meisterbrau in den Kanalisationseingeweide von New York für Angst und Schrecken und irgendwo hinter den Kulissen heckt eine durchgeknalle Künstliche Intelligenz wegen eines Hörfehlers Pläne aus, die selbst Hartgesottenen eine Gänsehaut bescheren dürfte. — Der Roman knöpft sich kreuz und quer in diesem schnellgeschnittenen Gewusel sehr frech und engagiert verschiedene brachial-positivistische Gesellschaftsknetenwoller und ihre Großraumphantastik vor.
Egal wer »Hurrah, die Zukunft gehört uns!« ruft, ob Kapitalisten, christliche Pfadfinder, Geheimdienststrippenzieher oder die Verwalter des dunklen Vermächtnis von Disneyland, sie alle bekommen ihr Fett ab. Am aufregendsten ist dabei die in »G.A.S.« stattfindende Auseinandersetzung mit der bei uns weitestgehend unbekannten Ayn Rand, Erfinderin des ›Objektivismus‹, einer vulgär-materialistischen Kapitalismus- und Egoismusverherrlichung. Rand inspiriert bis heute als frappierend humor- und emphatiefreies Pinupgirl Chicago-Boys, Neocons & Neoliberale. Trotz all der munter-skurielen Abstrusitäten und der zahllosen schrägen Typen wird der Leser am Ende in eine etwas bedrückende Stimmung entlassen, was aber angesichts des seit Erscheinen des Romanes ehr heftiger als milder gallopierenden Infowar-Wahnsinns die angemessene Spötterei auf hegemoniestützende Märchen vom Ende der Geschichte ist. Also ist Vorsicht oder Lesewagemut gefordert, damit man beim Lesen nicht von auf mehrfache Schallgeschwindigkeit beschleunigten Salamis K.O. geschlagen wird.
Um die für meinen Geschmack beeindruckende Reifung von Matt Ruffs Schreiben zu beschreiben, die sein nächstes Buch markiert, will ich kurz innehalten, um über die Reize und Gefahren seiner, und allgemein über phantastische Fabulationen, zu sinnieren und zwar im mir eigentlich gar nicht behaglichen, ja sogar unsympathischen weil anmaßenden ›Wir‹-Modus.
{Wir-Modus an} Aufmerksame Beobachter der kulturellen Weltläufte sagen, dass um ums herum ein Paradigmenwechsel abläuft. Das geschriebene Wort wird verdrängt vom photographierten, vom gefilmten, vom digital zusammengezauberten Bild. Keinesfalls teile ich die Ansicht, dass die erzählende Literatur durch diese vermeintlich unheilvollen Entwicklung ins Abseits gerät. Aber wer allein und lediglich schreibend erzählt, sieht sich vor die Wahl gestellt, ob man sich auf Leser spezialisiert, welche die neuen Medien meiden um lieber in den pietätvollen Gefilden der Literatur zu bleiben, oder ob man es als Geschichtenerzähler wagt, sich den Herausforderungen durch Blockbuster-Kino, TV-Serien und Computerwelten zu stellen. Wir, die mit zweiterem als etwas Selbstverständlichem aufgewachsen sind, und denen die Freuden und den Wert des ersteren nahezubringen man sich bei unserer Erziehung mühte, tun uns zuweilen schwer damit, wie vom Kulturestablishment unsere Popkultur als nichtiger oder gar gefährlicher Tüdelkram in die Schämecke geschickt wird. Man verzeihe mir, wenn ich zur Veranschaulichung hier einen fragmentarischen Remix einer solchen Skeptik zu den Freuden popkulturellen Fabulierens präsentiere:
Ruff ist ein Bewohner des Weltinnenraums, dieser vollklimatisierten, bildschirmgepflasterten, in sich selbst verdrehten Zone. … ein Nerd … Ruff bedient sich, wo er will … wie gerne Kinder sich Höhlen bauen, um darin zu kuscheln … Ruff kuschelt auch … (Fantasy ist unter anderem ein Globalisierungsphänomen) … Politisch korrekt war das bei Lichte besehen nicht, doch hat Ruff die Gabe, es dem Leser so gemütlich zu machen, dass der lieber liest, als nachzufragen. … Bilderbuch-Liberaler. … Manchmal allerdings geht es eben durch mit dem politisch korrekten Matt, vor allem beim Rennen, Retten, Flüchten und Schlagen und Schießen und Bluten. Eigentlich kommt kein Ruff-Plot ohne Tom-und-Jerry-Finale aus. … Am Ende spielen alle Bücher des Matt Ruff im Weltinnenraum der Fiktion und alles Außerhalb ist ihnen ein fernes, kaum mehr verständliches Echo.
{01}
Nicht alle von uns, die wie Matt Ruff selige Tage der Adolszenz mit Rollenspielen, Comics, Soap- und SF-Serien verbracht haben, bleiben ewig treudoof unkritisch gegenüber unseren mit Postern, Action-Figures und Franchise-Icons geschmückten Kuschelhöhlen. Trotzdem (oder durchaus auch weil) wir unsere Zeit und Aufmerksamkeit mit solchen Dingen wie Superheldenbiographien, Trading Cards und nicht zuletzt Weltenbau vertändeln, haben wir ein Gespühr sowohl dafür entwickeln können, dass sich die Athmo des Inneren so mancher altehrwürdigen Elfenbeintürme der Großraumphantastik-Verwalter kaum unterscheidet von der unserer infantilen Höhlen, und wie sensibel die Kulturtechniken zur Entwicklung, Installation, Instandhaltung von, und des Austausches zwischen Parzellen des klimatisierten (sprich: künstlichen) Weltinnenraums der Fiktion ist. Auch wir Fans von zuweilem arg schriller und eskapistischer Phantastik können, wie es ein Kenner der Materie beschreibt, mittels dieser
zu den Wurzeln unseres Denkens und Verhaltens vorzustoßen, was den Einzelnen befähigt, wieder Herr zu werden über seine Entscheidungen.
Freilich kann man nun trefflich streiten darüber, welche Phantastik seriöse »distentzierende Erkenntnisakte«, und welche nur liederliche, gar schädliche Ablenkung und Betäubung fördert.{02} {Wir-Modus aus}
Der 2003 erschienene dritte Roman von Ruff, »Ich und die Anderen« (»Set this House in Order«, 2003), ist sein bisher bester und beeindruckenster Roman, auch gemäß seines eigenen Urteils und dem so mancher Vertreter der literarischen Kreise. Ruff gelingt es brilliant sich mit diesem Buch als ernsthafter und seriöser Phantast zu etablieren, wenn das
{w}as die seriöse Phantastik vom bloßen Obskurantentum trennt, sei es von seinen literarischen oder auch von den heute ins Kraut schießenden pseudokultischen Ausprägungen, der Umstand {ist}, dass sie nicht einer Droge ähnlich wirkt, sondern den Leser durch die literarische Gestaltung der Angst in einen Zustand erhöhter Alarmbereitschaft versetzt.
{03}
Der englische Nebentitel lautet ›A Romance of Souls‹, was man in etwa mit ›Eine Abenteuergeschichte von Seelen‹ eindeutschen kann, und das ist wortwörtlich gemeint. Hier geht es um zwei Menschen, die mit dem so genannten ›Multiplen Persönlichkeits Syndrom‹ geschlagen sind. In der Realität wird diese Diagnose noch ziemlich heftig debattiert, was nicht verwunderlich ist, handelt es sich doch bei Fragen dazu, wie denn genau unsere inneren Welten beschaffen sind und funktionieren noch um eine Problematik, die sich nicht mit der objektiven Phantasie ergründen lässt, auch wenn wir in Zeiten leben, in denen man täglich über neue Meldungen den Medien stolpern kann zur wissenschaftlich-instrumentellen Erforschung dieses dunkelsten aller Weltenterrains.
Während Andy über seinem Zustand Bescheid weiß und damit ganz passabel umzugehen gelernt hat, hat die von Black-Outs geplagte Penny keinen Schimmer davon, dass viele konkurrierende Teilpersönlichkeiten sich um ihren Körper kabbeln. Im Milieu der Seattle’schen New Economy begegnen sich Andy und Penny als Mitarbeiter einer IT-Spiele-Firma namens ›Virtuell Reality‹, und brechen später auf zu einem irrwitzigen Trip ins Herz der provinziellen USA, um die Vergangenheits-Geheimnisse von Andys Seelenzertrümmerung zu ergründen.
Obwohl dieses dritte Buch von Ruff meistens genauso verspielt und humorig wie seine beiden Vorgänger ist, mutet es seinen Lesern stellenweise extrem gruselige Passagen über innerfamiliäre Grausamkeit zu. Das taugt sicherlich nicht jedem, das schreckt sicherlich manche ab, doch Ruff bleibt anständigt, da er keine Spektakelausbeutung mit dem Thema Kindesmißbrauch und sadistische Eltern betreibt. Ich persönlich fand es da sehr angenehm und passend, dass »Ich und die Anderen« nicht so wirr und trügerisch wie »G.A.S.«, sondern wieder eher wie »Fool on the Hill« versöhnlich-aufrichtender ausklingt. Zudem ist es sprachlich weniger peppig und der dramaturgische Fluß merklich ruhiger als seine beiden Vorgänger.
2008 ist der neuste Roman, »Bad Monkeys« erschienen. Nicht nur, weil er sein bisher kürzester, vielleicht auch sein elegantester Roman ist, halte ich »Bad Monkeys« für das womöglich beste Einstiegsticket zur Reise in die wilden Welten von Matt Ruff, sondern auch, weil ihm für mein Empfinden wie bei keinem seiner vorherigen Büchern hier eine besondere schwebende Balance, die sich meines Erachtens eben vorzüglich mit den Mitteln der Phantastik erreichen lässt, hervorragend gelungen ist: Einerseits mit sorgenvollem, berührendem Engagement gerade von statten gehende, verunsichernde Fehlentwicklungen der globalen Welt zu kommentieren, aber andererseits (für alle, die lieber mit ausgeschaltetem Gesellschafts- und Kulturkritik-Radarschirm lesen) schlicht einen aufregenden, fetzigen Abenteuerzirkus zu bieten, kompletto mit phantastisch-futuristischen Requisiten, schrillen Kostümen und reichlich Verfolgungshatz, ›Bullett Time‹-Geballer und ausgeklügelten Verhörungsduellen. Zudem zeichnet den Roman eine gewisse Heftigkeit aus, die vielleicht darin gründet, dass Ruff hier in für ihn ungewohnter Kürze ein äußerst dichtgesponnener, subversiver Garn gelungen ist, der einen im Fortlauf der Handlung in immer kürzeren Intervallen den Kopf in alle möglichen Blickachsen dreht. Mind Fuck galore!
»Bad Monkeys« ist einerseits ein Kammerstück, eine Charkterstudie, denn die Handlung setzt im Juno 2002 ein, im weißen Raum einer Gefängsnispsychatrie in Nevada, wo ein Dr. Vale die frischverhaftete Mörderin Jane verhört. Diese ›White Room‹-Kapitel sind kurz, auktorial erzählt, rekapitulien beziehungsweise leiten zu den längeren Kapiteln über, in denen Jane als Ich-Erzählerin ihre Lebensgeschichte als ›Bad Monkey‹-Agentin erzählt. Die Art des Verhörhumors läßt sich fein illustrieren anhand weniger Zeilen von S. 3:
»Worin besteht die Arbeit bei Bad Monkeys«, fragte der Arzt, »also was tun Sie? Böse Menschen bestrafen?«
»Nein. Normalerweise töten wie sie einfach.«
Jane ist eine packende, charismatische Erzählerin (obwohl: manche Rezensenten fanden sie unsympathisch. Am Ende des Romanes zu urteilen, ob Jane denn nun sympathisch oder unsympathisch, feige oder mutig, böse oder gut ist, gehört zu den aufregenden Angeboten, die Matt Ruff hier seinen Lesern macht) wenn sie von ihrer wilden Kiffer-Jugend im San Francisco der Siebziger und vom zunehmenden Klinsch mit ihrer Mutter berichtet; davon, wie sie ein netter Polizist zu Verwandten in die hinterletzte Provinz bringt, nachdem ihre Mutter vollends die Nerven verloren hatte, als Jane beim Dope-Anbau erwischt wurde. Schön sachte driftet dann die bisher realistische Welt ins die Gefilde der Verschwörungsphantastik, wenn die jugendliche Jane eine seltsame ›Natürliche Ursachen‹-Knarre findet, mit der man Herzinfarkte und Schlaganfälle verursachen kann, ein Artefakt einer namenlos bleibenden Organisation, von der Jane Jahre später für die Abteilung ›Bad Monkeys‹ rekrutiert wird.
Ganz besonders freut und beeindruckt mich, dass Matt Ruff mit diesem Roman eine hinreissende Homage auf Philip K. Dick — den (für mich) großartigsten Kurzgeschichten-Phantasten der zweitem Hälfte des 20. Jahrhunderts — vollbracht hat. Trotz aller Späßchen und Thrills pulsen die Erz-Fragen von P. K. Dicks Werk (»Was ist Menschlich?«, »Wer bin ich?« und »Was ist Wirklichkeit?«) stets merklich durch den Strang der »Bad Monkeys«-Erzählung. Was habe ich Seite um Seite gestaunt, wie eingängig »Bad Monkeys« ist, und doch zugleich wie verwickelt, mit seinen zig-ineinandergeschachtelten Finten. Der für mich schönste, alles zusammenfassende Weisheitsspruch aus »Bad Monkeys«, der zugleich auch wie kein anderer Satz die Essenz seiner vier Bücher herausdestilliert lautet »Omnes mundum facimus« (»Wir alle machen die Welt«).
••• Zu Teil zwei mit dem Interview.
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BIBLIOGRAPHIE:
»Fool on the Hill« (»Fool on the Hill« 1988); Übersetzung: Ditte König & Giovani Bandini, 576 Seiten; — Gebunden: Hanser (Erstausgabe, vergriffen), 1991; Zweitauendeins, ISBN: 3861504057; — Taschenbuch: DTV, 1993, ISBN: 3423117370.
»G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke« (»Sewer, Gas & Electric – The Public Works Trilogy«, 1997); Übersetzung: Giovani und Ditte Bandini, 624 Seiten; — Gebunden: Hanser, 1998, ISBN: 3446192905; — Taschenbuch: DTV, 2000, ISBN: 3423207493.
»Ich und die Anderen« (»Set this House in Order – A Romance of Souls« 2003); Übersetzung: Giovani und Ditte Bandini, 600 Seiten; — Gebunden: Hanser, 2004, ISBN: 3446205357; — Taschenbuch: DTV, 2006, ISBN: 3423208902.
»Bad Monkeys« (»Bad Monkeys« 2007); Übersetzung: Giovani und Ditte Bandini, 251 Seiten; — Gebunden: Hanser, 2008, ISBN: 3446230025 ; — Taschenbuch: DTV, 2009, ISBN: 3423211792.
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ANMERKUNGEN:
01 Wieland Freund:
»Kampfaffen in der Tiefgarage, eine Begenung mit dem Kinoerzähler Matt Ruff«, in »Die Welt« vom 09. Februar 2008. •••
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02 Paraphrase nach Winfried Freund: »Arbeitstexte für den Unterricht: Phantastische Geschichten«, Seite 90, Reclam 1979/2001. ••• Zurück
03 Ebenda, S. 92.••• Zurück