Eintrag No. 681 — Ein wunderbarer Stolz wärmt mich dieser Tage, der Stolz, einen (wenn auch kleinen) Teil zu einem richtig guten Buch beigetragen zu haben. Wie bereits hier berichtet, habe ich Joe R. Lansdales Roman »Kahlschlag« (neben Tobias O. Meißners »HalbEngel«) als Belegexemplar vom Golkonda-Verlag erhalten, weil die hintere Broschurklappe ein von mir erstelltes Autorenportrait ziert.
Der Roman kam mir gerade recht, denn ich habe schon lange nichts mehr von Lansdale gelesen. Dass der Mann richtig was auf dem Kasten hat, weiß ich durch seine »Jonah Hex«-Miniserien (den vielleicht besten Stories über diesem unheimlichen Western›helden‹: hier gibts mehr über »Two Gun Mojo« und »Riders of the Worm and Such«); seinen Kurzgeschichten in den ersten beiden Ausgaben der »Borderlands«-Anthos von Thomas F. Monteleone; seiner (Robert E. Howard-Homage-)Story »Jiving with Shadows & Dragons & Long, Black Trains« aus dem dritten Band mit Hellboy-Kurzgeschichten »Oddest Jobs«; sowie (last but not least) seiner Drehbucharbeit für den grandiosen ›Elvis & JFK als alte Knacker im Kampf gegen einen miesen Mumien-Motz‹-Film »Bubba Ho-tep«.
Außerdem bot sich »Kahlschlag« als Kontrastprogramm zu meiner derzeitigen Großlektüre von Arno Schmidts »Zettel's Traum« an, a) weil ich den Lansdale-Roman (anders als das A3 große »Zettel's Trumm«) unterwegs lesen kann; b) weil »Kahlschlag« flott und grad heraus erzählt, während das Großwerk von Schmidt schon auf unverschämte Weise höchste Konzentration einfordert.
Worum es geht: »Kahlschlag« spielt ›nur‹ in einer kleinen Welt, der Sägewerksiedlung Camp Rapture und dem boomenden Ölfeld-Ort Holiday, irgendwo im Ost-Texas der 1930-Jahre. Äktschn-mäßig passiert zwar viel, und Lansdale versteht es, mit einem abwechslungsreichen & starken Figuren-Ensemble aufzuwarten, aber die Handlung dreht sich eben ›lediglich‹ darum, dass Menschen mit den harschen Bedingungen des ländlichen Lebens und den Widrigkeiten, die sie sich einander antun, zurande kommen müssen und versuchen, so gut es geht Recht und Ordnung zu wahren. Die provinziellen Lebensumstände und die von ihnen geprägten Leut sind bisweilen drastisch, was das erste Kapitel bereits verdeutlicht: Gerade als ein Frösche regnen lassender Tornado übers Land fegt und das Haus der Jones abträgt, will der in seiner Trunkenheit grobe Deputy Jones mit Gewalt seine Frau Sunset gegen deren Willen besteigen, die im Handgemenge den Revolver ihres Mannes zu fassen bekommt. Blam! Gattentod durch Selbstverteidigung bei versuchter Vergewaltigung, was einiges in Bewegung und das Machtgefüge im Bezirk Camp Rapture in Unruhe ver-setzt. Zu den unmittelbaren Folgen gehört, dass Marilyn, die Mutter von Deputy Jones, seine Teenager-Tocher Karen und der Ort damit zurecht kommen müssen, dass ihr Sohn, Vater und Deputy tot ist.
Gedankenspiel: Als in sich abgeschlossene Einheiten stehen Bücher nur im Regal schön brav nebeneinander. Im Kopf von Lesern, vor allem in einem solchen Flipperkasten, zu dem mein Schädel zuweilen wird, kommen Bücher miteinander ins Gespräch, kommentieren und bespiegeln sich gegenseitig. — »Kahlschlag« hat mir wieder Mal deutlich vor Augen geführt, was mir bei vielen Fantasy- und SF-Genrestoffen prinzipiell missfällt: nämlich, dass phantastische Genre-Stoffe allzuflott mit der großen Schicksalskeule aufwarten und sich bei ihnen die Handlung mindestens um die Rettung der Welt und den Kampf gegen das absolute Böse dreht. Ich finde, dass die Genre-Phantastik viel von ihrem Potential verschenkt, wenn sie thematisch so hoch pokert. Wie ich in »Abenteuer Phantastik« schrieb, machen uns alle Romane, egal ob realistischer oder phantastischer Weltenbau, das Angebot, uns aus dem eigenen Alltag auf eine Reise in andere Welten aufzumachen. Ich halte es bei dabei für nebensächlich, ob diese ›entführende Verzauberung durch Sprache & Handlung‹ uns nun in phantastische oder realistische Gefilde versetzt. — Die Tugenden, mit denen mich ein realistischer Genre-Roman wie »Kahlschlag« (oder auch »Mitten in Amerika« von Annie E. Proulx, »Manituana« von Wu Ming oder »Sunnyside« von Glenn David Gold) begeistert, sind, sei's Zufall oder tieferes Sinnmuster, genau die, welche ich bei Genre-SF & -Fantasy oftmals vermisse oder eben als Un-Tugenden wahrnehme:
Die Details des AlltagsLebens, die vielleicht auch, vor allem was Landschaft und Wetter angeht, in vorsichtiger aber athmosphärisch kraftvoller Dosierung mit einer Priese Poesie dargestellt werden;
Figuren, die erst in zweiter Instanz Funktionen erfüllen um eine (spannende, romantische, komische ect.) Handlung voranzutreiben, sondern die vor allem erst mal eben Charaktere, Typen, Personen sind die sich eben durch ihr jeweiliges Leben wurschteln. — Gerade die konservativ-naive Einfallslosigkeit, der folgend viel Genre-Phantastik (vor allem Fantasy & Space Opera) durch stark kontrastierte Gut- & Böse-Verteilungen geprägt wird, muss mit funktionalen Figuren operieren und es ist kein Wunder, wenn zumindest ich das dann meist unglaubwürdig finde und/oder mich schnell langweile.
»Kahlschlag« sei also sowieso allen empfohlen, die Lust auf ein kurzweiliges gutes Buch haben, dass sich durch seinen makellosen Stil, glaubwürdige & überraschende Figuren und eine spannende Handlung auszeichnet; ganz besonders aber möchte ich es Freunden der Genre-Phantastik zur inniglichen Beherzigung anraten, damit sie ein Gespür für Dinge entwickeln können, deren Mangel viele (Epic) Fantasy & Space Opera zu einer mauen Lektüre macht.
Zudem sei hervorgehoben, wie wunderschön diese broschierte Ausgabe geworden ist, abgefangen vom schönen Satz, über den Buchschmuck, bis hin zur sauberen Bindung und Verarbeitung.
Link-Service:
Es freut mich ganz besonders, dass »Kahlschlag« von ausgewiesenen Kennern mit großem Lob bedacht wurde.
Trotz aller seiner "kleinen Schicksale" und Lebensgeschichten spannt "Kahlschlag" so insgesamt doch einen sehr weiten Bogen. Für nachfühlende Leser/innen reicht die Bandbreite der Emotionen dann auch von Staunen bis Lachen, man fiebert förmlich mit und erschauert, es kommen einem manchmal sogar fast die Tränen. – Wer einen derart in ein Wechselbad der Gefühle versetzen kann, der muss eigentlich schon der höheren Erzählkunst befähigt sein ...
Lansdale nimmt das Triviale ernst, degradiert es nicht zum neckischen Beiwerk für »Kunstkrimis«, die sich krampfhaft darum bemühen, gestenreich an die Kolportage- und Pulpwurzeln des Genres zu erinnern, und in aller Lächerlichkeit scheitern. Bei Lansdale bedeutet trivial nicht minderwertig, sondern steht für die künstlerische Rückführung eines an sich sehr komplexen Stoffes auf seine populären Wurzeln.
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Joe R. Lansdale: »Kahlschlag« (»Sunset and Sawdust«, 2004); aus dem Amerikanischen von Katrin Mrugalla; 37 Kapitel auf 361 Seiten; Golkonda Verlag 2010; ISBN: 978-3-942396-01-1.
Eintrag No. 680 — Bald schon Mitternacht, aber noch istDienstag und damit nicht zu spät für einen Wochenrückblick. Diese Woche wieder mit Links..
Lektüre: Zehn Seiten noch in »Zettel’s Traum«, und ich bin mit Teil I (»Das Schauerfeld oder die Sprache von Tsalal«) von VI fertig und damit bei Seite 138 von ca. 1500. Ich kann sagen, dass ich (immer noch) vergnügt vor mich hinlese.
Sehr fein finde ich, dass die ›Arno Schmidt Stiftung‹ mittlerweile mit dem »Zettel'sTraum«-Beispielheft ein nützliches PDF anbietet, in dem präsentiert wird, was typographisch in dem Buch an spannenden Dingen abgeht. Unvermeidlich werden einem dabei natürlich einige Beispiel-Seiten geboten, anhand derer man sich als Unbedarfter mal angucken kann, wessen Wahnsinns kesse Beute Arno Schmidt wohl war, als er ZT geschaffen hat. Ich habe ja weniger meinen Spaß damit, »Zettel’s Traum« als Mega-Kreuzworträtsel anzugehen, sondern eher auf eine Art die …
… die auch Denis Schenk erfrischend schildert, wenn er sich als »Zettel'sTraum«-Veteran outet, und für »Druckfrisch« dieses Trumm empfiehlt. Wunderbar respektlos (respektlos, wie es nur echte Fans sein können / dürfen) meint er nicht ganz unrichtig:
Es (= »Zettel'sTraum«) ist ein typisches Produkt der fortschrittsgläubigen Moderne, man könnte auch sagen eines typisch männlichen Wer-pisst-am-höchsten-Denkens in der Kunst.
Dank an Markus M. für den Hinweis!
In eigener Sache: Frank Weinreich bespricht für sein ›Polyoinos‹-Blog Simon Spiegels »Theoretisch Phantastisch« sehr begeistert und findet sogar nette Worte zu meinen Illustrationen. Das macht mir Mut!
›SchönerDenken‹ hat mit »Der Maulwurf in der digitalen Welt« nun ein Potpourri aus den Beiträge ihrer Moleskin-Blogparade (bei der ich auch mitgemacht hatte) zusammengestellt.
Netzfunde
Christenschande: Frohe Botschaft (=Fantasy) offenbaren, aber widerliche Wirklichkeit unter den Teppich kehren (wenn ’se der eigenen Firma schaden könnt): Thorsten Stegemann hat für ›Telepolis‹ mit Vertuschen im Namen des Herrn über das Gutachten betreffs der Missbrausfälle in der Erzdiözese München und Freising berichtet. — Für die ›Junge Welt‹ hat Gerd Feldkamp das »Violettbuch Kirchenfinanzen« von Carsten Frerk gelesen: Glaube und Geldgier.
InfoWarScharmüzel: Ines Kappert kommentiert für das Gruppenblog ›Lesen was klüger macht‹ die Entwicklungen zum Thema ›Abbau des Geheimnisse-Stau‹: Wikileaks maßt sich an, Öffentlichkeit anders zu definieren. — Ich selbst habe im Lauf der letzten Woche dem hoffentlich noch abwendbaren, behämmerten Alterskennzeichnungs-Ideen als 2945-ster mein »Nein« erteilt: JMStV ablehnen!. Mein Kommentar dort: Weltfremdes und kontraproduktives Vorhaben, der neue JMStV. Höchstens dazu gut, dass man wieder mal deutlich vorgeführt bekommt, wie sehr Politiker (bzw. jene, in deren eigentlicher Absicht sie handeln) sich vor ›dem Internet‹ fürchten. Ergänz hier: Aber natürlich eine wonnevolle Aussicht für alle, die mit juristischen Kung-Fu als moderne Wegelagerer anderen das Geld abpressen, sowie für die Entwickler & Vermarkter von Kontroll-Technologie.
Geheimniskrämerische Wohltäter: Die ›Frankfurter Rundschau‹ berichtete am 27. Nov. kritisch über Stephanie zu Guttenbergs Verein: Im Spendensumpf und ›Twister‹ konnte am 01. Dez. dann in ihrem Artikel
bei ›Telepolis‹ ›Innocence in Danger‹ und deren ungewohntes Schweigen ergänzen, dass IoD lieber Journalisten verklagt, als Transparenz vorzuleben. (Nebenbei: die Gutenberg habe ich bereits auf einen Notizzettel gezeichnet. Die kommt also bald in meiner Fetzenschädel-Reihe.)
Zur Abwechslung Kultur: ›TAZ‹ brachte einen nettes Texterl von Nina Ernst über Geschichte in Computerspielen: Aus Fakten wird Fiktion - manchmal. — Ich finde, dass viel zu selten über den ›anderen‹ großen ›Iconic Turn‹ gesprochen wird, der seit dem Aufstieg der Massenmedien abgeht. Über den Wandel von der Schrift-zur Bild-Kultur salbadert schnell mal jemand, aber die Verdrängung der Erzähl- durch die Spiel-Kultur wird vergleichsweise selten thematisiert.
In ›Neues Deutschland‹ wurde ein begrüßenswerter Artikel von Martin Koch über die frühe Royal Society veröffentlicht: Zwischen Erkenntnis und Intrige.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Nochmal ›TAZ‹: Diesmal Meike Laaff über die muntere Zeitgeistigkeit von Zombies, vor allem anhand der TV-Serien-Fassung der »The Walking Dead«-Comics: Das schlurfende Fußvolk der Hölle.
›Lake Hermanstadt‹ hat einen knackigen Eintrag über Politische Intelligenz und Ecos Pendel geliefert, mit kurzer Wiedergabe der wunderklugen Einteilung der Menschen in Idioten, Dämliche, Dumme und Irre.
Für ›Fantasyguide‹ legt Ralf Steinberg dar, wie geplättert er von China Miévilles »Die Stadt & Die Stadt« ist.
Gigantisches Mutanten-Prügelei-Wüstenödnis-Endzeit-Comic, für umme! »Murderbullets« bei ›Orc Stain‹.
Bei ›Newgrounds‹ über The Game gestolpert. Taugt als Spiel eigentlich nix, sondern nutzt Spiel-Konventionen als Mittel zum philosophischen Kalauern. Also quasi Kunst oder Kabarett, oder so.
Auf dem YouTube-Kanal von apachepics gibt es eine zum Niederknien feine Hommage auf Chuck Jones, »Wiley Vs. Rhodes«, gedreht mit echten Leuten.
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Gott! Wie klein sind die Menschen!
Altes Volkslied.
Schwadronarius, Neugott und Aerostograph, beurteilt die Menschen aus der Vogelperspective und empfindet dieses Herzeleid 6000 Fuß hoch über dem Niveau des Straßenpflasters.
Die schönste Verwünschungen des Altertums halten keinen Vergleich aus mit der gedankenreichen Anrede, welche Schwadronarius' Munde entströmte, als er die Erde verließ. Die Schnelligkeit seines Aufsteigens fand nur in der Schnelligkeit seiner Worte einen würdigen Nebenbuhler. Die Gegenstände, welche seine Blicke trafen, dienten allein dazu, die Flut seiner lyrischen Improvisation zu vermehren. Über einer Reitbahn ließ er den Ballon anhalten, aber nicht um den Raum, den er durchschnitten, zu messen, sondern nur um gegen die Menschen im Allgemeinen und die Kunstreiter im Besonderen neue Redensarten zu schleudern.
»Das sind Menschen, die ihr Leben damit verbringen, Wendungen und Verrenkungen auf der Croupe eines Pferdes zu machen; Frauen, die ihren Ruhm darin suchen, durch einen mit Ölpapier beklebten Reif zu springen und in fleischfarbenen Tricots und flatternden kurzen Gewändern ihre Künste hoch zu Ross zu producieren, Alles nach den Worten: ›Hupp! Hupp! Hupp!‹, oder ›Hopp! Hopp! Hopp!‹ mit Begleitung von türkischer Musik.«
Kaum war er damit fertig, so trieb ein Windstoß seinen Ballon nach der linken Seite und Schwadronarius schwebte jetzt über der Terrasse eines Gartens, dessen Bezeichnung sehr viele, mehr oder minder interessante Romane enthalten. Ein Jüngling und eine Jungfrau plauderten miteinander auf dieser Terrasse sehr leise, dicht aneinander sich drängend. Unten schlich ein Mann, Vater, Oheim oder Vormund vorsichtig auf dem Fußsteige längs der Gartenmauer näher. Schwadronarius lächelte über die vergeblichen Anstrengungen, die er ihn machen sah, um sie zu überraschen, als er plötzlich gerade in dem Augenblicke, wo die Jungfrau dem Jüngling den Scheidefuß zu geben im Begriff stand, in der Ersteren sein Bäschen Gertrude erkannte, für die er die zärtlichsten Liebeslieder in Musik gesetzt und ihr gewidmet hatte. Da begriff er zum ersten Mal, dass ein Gott lieben und leiden könne, wie ein gemeiner Schäfer. Nun hätte er gern seinem Rächer beigestanden und gesehen, wie dessen Zorn und Regenschirm den verhassten Nebenbuhler traf, aber er fühlte zu sehr das Bedürfnis, seine neue Würde zu retten, und stieg daher majestätisch wieder empor.
Unserem göttlichen Aeronauten bot sich, als er so hoch über den Straßen, den Häusern und Vorstädten dahinschwebte, noch manches Schauspiel zwar umsonst, aber nicht eben ergetzlich dar. Unwillkürlich richtete er den Blick auf ein Ballet unter offenem Himmel, das einige junge Savoyarden und einige alte Pudel aufführten.
»Unglückliche Kinder! Unglückliche Hunde!«, rief er. »Dazu verwendet der Mensch Eure Jugend, Eure Anmut, Eure Frische! Unschuld, Alter, Hunde, Alles macht er seinem Vergnügen dienstbar. Wahrlich, ich werde mich nicht mehr um ihn kümmern!«
Dieser Entschluss hinderte ihn jedoch nicht, eine vorübergehende Amsel zu fragen, was sie von den Menschen halte.
»Der Mensch«, pfiff die Amsel, »ist ein plattes Wesen. Er verabscheut uns und beneidet uns sein ganzes Leben hindurch um die Fähigkeit, zu fliegen. Endlich stirbt er aus Verdruss darüber, dass die Flügel, die er sich macht, an der Sonne schmelzen. Das ist meine Meinung über den Menschen.«
Schwadronarius tat nun dieselbe Frage an den Kranich.
»Der Mensch«, entgegnete der Kranich, »ist ein sehr plattes Wesen. Er versucht vergebens, uns nachzuahmen. Auf Locomotiven strebt er uns einzuholen und ist eifersüchtig, dass unsere Flügel uns weiter tragen als ihn seine Eisenbahnen.«
Eine Lerche sang ihm auf dieselbe Frage folgende Antwort:
»Der Mensch ist ein außerordentliches plattes Wesen. Die Vortrefflichkeit meines Gesanges bringt ihn zur Verzweiflung. Er versuche es einmal, wie ich einen Triller im Aufsteigen zu schlagen, seine Töne zwischen Himmel und Erde erschallen zu lassen und ein Solo, umgeben von den Strahlen der aufgehenden Sonne, zu singen. Der Mensch ist neidisch und ohne Fähigkeiten. Das ist meine Meinung.«
Eine junge Nachtigall flötete ihm dieselbe Ansicht über den Menschen zu.
»Die Vögel haben Recht«, sagte Schwadronarius, »ich teile ganz ihre erhabene Ansicht und habe die Plattheit des Menschen nie besser begriffen als jetzt.« Nachdem er diesen Gedanken in sein Album geschrieben, beschloss er ihn dem ersten Zugvogel mitzuteilen, der ihm begegnen würde. Eine wilde Ente, die nach Europa flog, um sich dort von einer Leberkrankheit kurieren zu lassen, war so gefällig, das Blatt mitzunehmen.
Schwadronarius schwebte gerade über Paris und gewahrte tief unten auf dem Vendomeplatze die Napoleonssäule.
»Ich sehe«, fuhr er fort, »dieses großartige Denkmal menschlichen Ruhmes. Kutscher und Wasserträger, Herzoginnen und Hökerinnen {= herumziehende Händlerin}, vornehme Herren und gemeines Volk, kurz alle Welt umkreist das Monument; zwischen der hundert Fuss hohen Säule und den Menschen sehe ich keinen Unterschied; sie scheinen mir sämmtlich gleich hoch zu sein. — Von dem Gesichtspunkte aus, auf dem ich mich befinde, ist der Ruhm gleich dem Nichts.«
Befriedigt von dieser Definition schwang sich Schwadronarius wieder zur Sonne empor.
Als seine Blicke zum letzten Mal auf der Erde ruhten, sah er das Pflaster des Boulevard von Fiakern {= zweispännige Pferdekutsche}, Kutschen und Wagen voll Masken überschwemmt. Ein verwirrtes misstöniges Geschrei drang bis zu ihm. Er wollte sich von diesem für das Auge eines Philosophen so traurigen Scenen entfernen, aber eine Windstille hielt seinen Ballon fest. Diese Zeit benutzte er, um sein Tagebuch zu schreiben, hielt es jedoch für passend, seinem Obergott die Geschichte mit Gertrude zu verschweigen. Wir verdanken diese Episode der Schwatzhaftigkeit eines Hänftlings; sie beweist, dass Alles, selbst von oben gesehen, seine Nachtseite haben kann.
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Eintrag No. 678 — Ich muss Euch leider mit einer schlanken Ausgabe des Wochenrückblicks abspeisen. Obwohl ich seit dem Wochenende frei habe, bin ich wenig zum Stöbern im Internet gekommen, und die Beute ist entsprechend mikrig. Zudem befinde ich mich im Endspurt meiner Kurzgeschichten-Übersetzerei (zu der ich leider noch nicht sagen kann, was ich da von wem für wen übersetzte … aber soviel sei verraten: ich bin mächtig stolz und froh angesichts der hohen Güte der Stories). — Da es nicht so aussieht, als ob ich diese Woche zu sehr viel mehr kommen werde als Übersetzen und an den Texten zu feilen, werde ich erst nächste Woche Links zu Netzfunden bieten. Für diesmal bleibt es bei Meldungen zu meinem Alltagskram (deshalb auch kein Flattr-Button, denn einen so popeligen Eintrag halte ich nicht für Flattr-würdig).
Allgemein: Eine überraschende Anfrage erreichte mich, und ich habe »Ja« gesagt und werde also nächstes Jahr für ein angesehenes Phantastik-Portal Mitglied eines Jurorenteams für einen Kurzgeschichtenwettbewerb sein. Bin schon gespannt, wie ich mit dieser Aufgabe zurechtkommen werde, oder ob sie nur dazu taugt, meine Nerven zu schreddern und mir Feinschaften einbrockt.
Und gestern konnte ich endlich mein Belegexemplar von Simon Spiegels »Theoretisch Phantastisch« von der Post abholen (das dort seit Donnerstag letzter Woche lag), für das ich Titelbild und einige Portrait-Illus beigesteuert habe. — Tausend Dank an Simon und den p.machinery-Herausgeber Michael Haitel, dass sie mich für dieses edle und nützliche Projekt mit an Bord geholt haben. Jederzeit wieder!
Film: Zum einen habe ich nun alle sieben Staffeln von »Buffy« gesehen. Ich bin überwältigt, wie gut diese Serie ist, deren erste Staffel ich vor ein paar Monaten eigentlich als leichte Feierabendentspannung angeschafft habe. — Zum anderen genieße ich gerade die ausführlichen Zusatzmaterialien der BlueRay-Ausgabe von »Alien Anthology«. Von allen SF-Serien liegen mir die »Alien«-Filme am meisten am Herzen, trotz aller Macken (vor allem von Film 3 und 4).
Weil mir das SF-Design hier am besten gefällt, so, wie das ›used future‹-Konzept zum ersten Mal und in Folge immer wieder gelungen zum Zuge kommt;
Weil jeder der vier Filme durch das Spiel eines exzellenten Schauspieler-Ensembles geprägt wird;
Weil jeder der vier Filme es wagt, eine ganz eigene Version der eigentlich immer gleichen Story zu liefern; also, weil Varianz und nicht Einheits-Rezept die Reihe prägt.
In den nächsten Tagen werde ich meine alten Einträge aus der Film-DB von SF-Netzwerk auf den Seziertisch legen und aus ihnen einen Blogeintrag zu den »Alien«-Filmen klonen.
Musik: Ich wandle immer noch fast ausschließlich auf barocken Pfaden, denn bis auf ganz wenige Ausnahmen (Filmmusik von Bernstein und Herrmann), begleitet mich Musik dieser Epoche seit gut einem Jahr. Mehrere Tage lang habe ich alle Hörproben, die ich zu Georg Friedrich Händels »Concerto Grossi« (Op. 6) finden konnte, getestet und bin am Ende bei der Aufnahme von ›Il Giardino Armonico‹ gelandet. Hier geht es zu einem kleinen Promo-Film zu dieser Einspielung. Etwa bei 1:35 kann man die ersten paar Takte der Polonaise aus dem dritten Konzert hören, ein gutes Beispiel für die Wucht und den schnittigen, fast schon schwermetalligen Sound, durch den sich der Streicher-Klang dieser Aufnahme für mich besonders hervortut. Barockmusik, und vor allem solch ein beliebter alter Hase wie Händel, wird ja als Wellness-Musi bis zum Gottserbarmen runtergenudelt. Was für eine Freude, wenn solche Musik dann doch auch mal mit Feuer und Wumms aufgeführt wird.
Lektüre: Bin vor allem mit »Der junge Titus«, dem ersten ›Gormenghast‹-Buch von Mervyn Peake weitergekommen und bald durch. — Für »Zettel’s Traum« von Arno Schmidt hatte ich in der vergangenen Woche nicht so viel Zeit.
Eintrag No. 677 — Am Samstag zum ersten mal Googles ›Straßenschau‹ ausprobiert. Schon mal 'ne geschmackliche Entgleisung, dass Google als Beispiel auf der ›Wie geht's‹-Seite die olle Siegessäule zeigt. Aber ab nach Frankfurt: Das Haus, in dem die Molochronik entsteht muss freilich verpixelt sein (damit man die Bombenwerkstatt im Hof nicht sieht). Sehr cool, sich wie ein Geist auf Trip die Straßen entlang zu klicken. Überhaupt ist die Straßenschau bemerkenswert gespenstisch: ich nähere mich auf der ›Am Brennhaus‹-Straße dem Südost-Eck des Altgriesheimer Parks, in Klicks von ca. je 5 Metern. Zuerst seh ich nur das Telefonhäuschen und wie ein Kerl mit grauem Pullover und Fahrrad an selbigen vorbeispaziert. Klick. Der Kerl nun im Gespräch mit einem anderen Mann mit scharzem T-Shirt, der auf einer Fahrradabsperrstange sitzt. Klick. Ein dritter Kerl mit rotem Shirt gesellt sich dazu. Klick. Nun ganz nah dran, der Mann in rot ist weg. Die anderen beiden sitzten lässig auf der Stange, der eine mit Fluppe in der Hand. Klick. Ich guck aus westlicher Sicht das Eck an, und holla, da ist der Kerl mit dem rotem Shirt wieder.
Durchaus schön, dass die Straßenschau eine meiner Lieblingsmauern im Viertel konserviert hat. ›Am Gemeindegraben‹, nahe der S-Bahnhaltestelle, gleich gegenüber einer Trinkhalle namens »Die Blechtrommel« ist diese sehr aparte Backsteinmauer, bis auf halbe Höhe aus dunklen Ziegeln gesetzt. Inzwischen wurde sie leider verputzt und sieht entsprechend fad aus.
Höhepunkt der Ironie: guck ich vom Paulsplatz / Braubachstraße in Richtung Südost, sehe ich ein Banner der Schirn Kunsthalle über den Zugang zum Römerberg gespannt. Und was für eine Ausstellung wurde da angepriesen, als der Google-Wagen sein Photo schoss?: »Die Totale Aufklärung«.
<img src="www.antville.org" align="right" style="margin-left:10px; margin--bottom:5px;"alt="Schuberzierbild von Arno Schmidts »Zettel’s Traum«, gesetzte Ausgabe der Arno Schmidt-Stuftung im Suhrkamp Verlag..">Lektüre: Dreissig Seiten weiter mit »Zettel's Traum« und damit jetzt knapp an der 100-er-Marke. Schön langsam beginnt sich ein steter Lesespaß einzustellen. Ich les das Trumm wärend ich Essen warm mache, oder auch auf dem Klo (kleine sportliche Übung in Kniebalance). Auch wenn ich 'ne Zielscheibe abgeben mag, von wegen, die ganzen Sex-Wortspiele von Arno Schmidt sind noch so was von verklemmten Altherrenzoten, yadder yadder yadder … ich steh dazu, dass mir dieses Riesenwerk Vergnügen bereitet. Freilich bin ich nich so begeistert über die ganzen Sigmund Freud-Anteile, aber einige Hypothesen dieser großen Analyse zum Werk und Wesen von Edhar Allan Poe scheinen mir doch plausibel zu sein. — Unbedingt empfehlen kann ich die die ersten ausführlicheren Einträge in Bonaventuras »Zettel's Traum lesen«-Blog, die sich beide lediglich der ersten Seite widmen: Seite 1 (1) und Seite 1 (2). Wenn der in dieser Ausführlichkeit weitermacht, dann stellt dieses Blog nicht weniger als eine echte Sensation dar. — Von der Rezensions-Front lässt sich diese ausführliche TAZ-Besprechung von Stephan Wackwitz vermelden: Neuentdeckung eines Dinosauriers. Wie heißt es dort so schön:
Die Wahrheit über Schmidts Spätwerk besteht wahrscheinlich darin, dass es, viel deutlicher als die meisten anderen inkommensurabel großen Bücher, beides zugleich ist. Große Kunst und kompliziert ausgearbeiteter Dachschaden. Und die Schwierigkeit und vielleicht Unmöglichkeit, sich zwischen diesen beiden Lesarten zu entscheiden, {…}
Und ich mag (unter anderem) genau dieses Flirren.
Unterwegs verköstige ich derweil das erste der »Titus«-Bücher von Mervyn Peake in der Neuausgabe, »Gormenghast: Der junge Titus«. Ich habe »Gormenghast« vor ca. 15 Jahren schon einmal auf Deutsch, und vor ca. vier Jahren dann endlich mal auf Englisch gelesen. Weiterhin bin ich fasziniert davon, wie ungewöhnlich dieses Werk, wie spannend und bezaubernd es ist, obwohl (vor allem auf den ersten 200 Seiten) eigentlich ziemlich wenig geschieht. — Aber: desto länger ich die Umschlaggestaltung der neuen Ausgabe anguck, um so mehr enttäuscht sie mich. Immerhin ist der neue Schriftsatz nun sehr angenehm zu lesen. Die deutsche Erstaushabe war diesbezüglich ein Graus (aus einer Zeit, in der die Hobbittpresse viele schräcklich gesetzte Bücher produziert hat). — Und ich bin enttäuscht und somit grummelig auf die deutsche phantastische Internetgemeinde, denn bisher sind nirgendwo besprechende Rezis, Blog- oder Forumbeiträge zu der Neuausgabe aufgetaucht (wenn, dann hab ich sie übersehen, und will nichts gesagt haben).
Ansonsten: Hatte mal wieder drei Tage am Stück frei und mehr oder minder durchgemacht um ordentlich voranzukommen mit einem Übersetzungsprojekt (sehr feine SF- & Phantastik-Kurzgeschichten). — Zur Entspannung habe ich mir Folgen der zweiten Staffel von »Star Wars: The Clone Wars« gegönnt, der, wie ich ketzerisch juble, besten Inkarnation von ›Star Wars‹ für meinen Geschmack. Hier passen Anspruch, Form, Inhalt und Stil endlich kongenial zusammen.
›Humanistische Presse-Schau‹ präsentiert: Carsten Frerk kommentiert die Antworten der Katholen auf Fragen über ihre Finanzierung und Stellung zum Verhältnis Staat & Kirche: Kirchenfinanzierung: Fragen und Antworten.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
›PhantaNews‹ hat ein ausführliches Interview mit der von mir sehr geschätzten Ju Honisch geführt: »Das was man selbst am meisten mag, macht man auch am besten«. Nicht nur, weil ich die ersten beiden Bände ihrer historischen Fantasyromane der (ich nenn die mal so) ›Fay-Welt‹-Romane probegelesen habe, lobpreise ich diese bei ›Feder & Schwert‹ erschienenen Bücher. Sie stellen in meiner Lektüreauswahl eine Ausnahme dar, da ich Reihen ja eher scheue. Aber die Mischung, die Ju da mit kurzweiligen Stil zusammenzaubert überzeugt mich (siehe meine Rezension zu »Das Obsidianherz«).
Catherynne Valente, Autorin von »Palimpsest« (würd ich gern testen, kam aber noch nicht dazu) zeigt sympathischerweise, dass man keineswegs auf andere Menschen angewiesen ist, um eine fetzige Diskussion zu führen. Man Frau alleine reicht. Zuerst lässt sie diese lange Uffregung vom Stapel, warum ihr die große Steampunk-Welle auf den Geist geht: Here I Stand, With Steam Coming Out of My Ears, rudert aber etwas erschrocken über die Heftigkeit ihres Zeterns mit Steampunk Reloaded zurück, und zählt dann schließlich auf, was sie asn Steampunk doch mag: 10 Things I Actually Do Love About Steampunk.
Zuckerl
Ganz toll finde ich die Illustrationen von Farl Dalrymple, vor allem die Eiblicke in seine Skizzenbücher. Seine Art zu kolorieren erinnert mich an einen Enki Bilal, der noch nicht dem Solepsismus der Coolheit seiner eigenen Deprisphären verfallen ist. Delrymple bietet z.B. feine »The Sandman«-Charaktere, wie Death, Marv Pumpkinhead, Zelda & Chantal und Delirium. — Und das hier ist vielleicht das typische ›residual self image‹ eines Genre-Fantasy-Fans?
Franziska Felber hat für ›Die Welt‹ einen schönen Text zum 25-jährigen Jubiläum von ›Calvin & Hobbes‹ verfasst: Ein Anarchist und sein Plüschtier.
›A Journey Around My Skull‹ präsentiert die Illus von Harry Clarke zu Goethes »Faust« (die z.B. Neil Gaiman sehr zu schätzen weiß).
Ganz großer Spaß! Der unvergleichliche ›Distressed Watcher‹ nimmt in drei »Let’s Watch«-Vcastfolgen den »Twillight«-Film auseinander Folge eins, Folge zwei & Folge drei. Nützliche gelernte Vokal diesmal: ›das Nullodrama‹.
Gib mir von Deinem, geb' ich Dir von Meinem.
Persisches Sprüchwort.
Bericht der Pickelflöte, Zeitung für Geist, Herz und Musik, über das Concert des Dr. Puff im Besonderen und die Dampfmusik im Allgemeinen.
Puff war, wie man sich denken kann, Zeitungsschreiber gewesen. Der Redacteur des Journals, »Die Pickoloflöte«, Zeitschrift für Geist, Herz und Musik, welches damals den Ton in der literarischen und artistischen Welt angab, gehörte zu seinen Freunden. Puff, der eine glänzende Recension über den letzten Roman desselben geliefert hatte, schrieb ihm und bat ihn um die Aufnahme eines Artikels über sein Concert. Eine Hand wäscht die andere, sagen die Deutschen, und beide zusammen das Gesicht, setzten die Italiener hinzu. Der Redacteur erklärte in der Antwort seine Bereitwilligkeit, Alles aufzunehmen, was der Verbreiter der Dampfmusik für passend fände ihm zu senden.
Puff nahm die Feder und schrieb den folgenden Bericht, kraft jenes Axioms, das oft falsch ist wie alle Axiome: »Man wird stets am Besten durch sich selbst bedient.«
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No. 91.
Auflage 111,111 Exemplare
99. Jahrgang
Die Pickelflöte.
Melodisch-harmonisch-symphonische Zeitschrift
fürGeist, Herz und Musik.
Verantwortlicher Redacteur:
Dr. Schreibefinger.
Illustrationen: Die Herrn Aquatinta und Bleistift, und die Damen Kreide und Tusche.
Verleger: Die Druckalles'sche Buchhandlung in Lindenstadt.
Mitarbeiter: Die berühmtesten Schriftsteller in Europa, Asien und Van-Diemenland.
Die musikalische Teil unter Leitung der Herrn Hofcapellmeister Ikhtmftbdg und Straccinati.
Censor: Geheimrath Bretnagel.
Art
des
Erscheinens
»Die Pickelflöte« erscheint täglich und stündlich von 7 Uhr Morgens bis Mitternacht wie die Omnibus.
Jede Nummer bringt als Extrabeilagen drei Walzer, fünf Romanzen, acht Etudes und eine Sonate von den berühmtesten Componisten.
Außerdem erhalten die Abonnenten achtzehn Freibillets für die täglichen Concerte der Pickelflöte.
Gegenwärtig wird ein neuer Saal gebaut, der groß genug ist, alle Abonnenten zu fassen.
Bedingungen
für
das Abonnement.
Für 1 Woche, 1 Monat, 1 Tag: Gar Nichts.
Für ein Vierteljahr erhalten die geehrten Abonnenten: Eine noch ungedruckte Symphonie von Ikhtmftbdg.
Für ein halbes Jahr: Eine ganze nich unbekannte Oper von Straccinati.
Für ein Jahr: Ein Flügelpiano und lebenslänglichen freien Eintritt in die musikalische Akademie.
Ferner als Extrazugabe die Portraits von Ikhtmftbdg und Straccinati.
Am 1. April 1850.
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Wir eilen dem verehrten kunstliebenden Publicum Bericht abzustatten von dem ersten humano-mechanischen Concert des eben so ausgezeichneten wie mit Recht berühmten Dr. Puff. Um würdig diese Aufgabe zu lösen, bedürfte es der glänzenden Beredsamkeit eines Mireabeau und der Flammenzunge eines Propheten des alten Testaments; unsere Schilderung — wir sind uns dessen nur zu wohl bewusst — muss weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben und rechnet nur zu sehr auf die Nachsicht des freundlichen Lesers. Dank sei es dieser wunderbaren Erfindung, von nun an werden Schnupfen, Husten, Heiserkeit und dergleichen Gesangshindernisse eine verklungene Sage sein. Die Stimmen der Tenore, Bässe, Baritons, Soprane und Alte sind vor allen Unfällen fortan bewahrt; die durch Dampf in Bewegung gesetzten Instrumente bringen Wirkungen von unglaublicher Genauigkeit hervor und die großen Meister unserer Zeit haben endlich Interpreten gefunden, die auf gleicher Höhe mit ihren unsterblichen Compositionen stehen. In diesem Jahrhundert des Fortschritts ist die Maschine ein vervollkommneter Mensch.
Wir enthalten uns der Schilderung des unbegrenzten Enthusiasmus, welchen jede von den Virtuosen des Dr. Puff executierte Piece hervorbrachte. Sein Orchester kann die Orchester aller Conservatoires der ganzen Welt, sogar unser Lindenstädter, dreist zum Kampfe auffordern und wird siegreich daraus hervorgehen. In dem großen Duett »Eisenbahn und Dampfschiff« gab Fräulein Locomotive das fünfgestrichene hohe C mit einer Fülle von Stimme und Dampf, dass alle Zuhörer vor Entzücken laut aufjauchzten. Eine junge Virtuosin von zweiundzwanzig Monaten, sechs Tagen und einer Nacht, welche aus Bescheidenheit nicht genannt zu sein wünscht, hat auf der Dampf-Harfe die schwierigsten Variationen aufgeführt, ohne auch nur einen Augenblick aus der Schienenbahn der Harmonie herauszugleiten, mit einer Fülle und einer Zartheit des Aufschlags, die ihr fortan einen Ehrenplatz unter den berühmten Künstlern der Jetztzeit sichern werden.
Als Gratisbeilage geben wir unseren verehrlichen Abonnenten heute die wohlgelungenen Portraits einiger Mitwirkenden, nebst Facsimiles ihrer Handschrift, außerdem verschiedene ihrer bis jetzt noch ungedruckten Compositionen.
Ein ungeheures Ereignis hat das Ende dieses Concerts ausgezeichnet. Während des Feuerwerks aus D-dur, im Augenblick als die Fuge smorzando {= verlöschend, ausklingend, leiser werdend} mit einer zarten, träumerischen Melodie sich endigte, platze plötzlich eine zu stark mit Harmonie geladene Ophicleide, in dem sie gleich einer Bombe ganze, halbe, Achtel- und Sechszehntel-Noten, ja ganze Passagen verschoss. Wolken musikalischen Dampfes und tausend Melodieen-Funken durschschwirrten die Atmosphäre. Mehreren Dilettanten wurden die Ohren zerfleischt, andere durch das Umherfliegen des F- und G-Schlüssels verwundet. Zur Verhütung jedes ähnlichen Unfalls sind geeignete Maßregeln getroffen worden.
Dr. Puff, welcher durch seinen doppelten Character die Abstammung des Äskulaps vom Apollo beweist, hat allen Verwundeten mit einer über jedes Lob erhabenen Uneigennützigkeit sogleich ärztlichen Beistand geleistet und sie geheilt entlassen.
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Eintrag No. 675 — Der Wochenrückblick fällt link-mäßig diesmal mager aus. Grund: Ich war angekränkelt und bin neben dem Brotjob vor lauter Zeichnerei und Übersetzerei zu wenig gekommen.
Lektüre: Immerhin bin ich beim Lesen von Arno Schmidts Riesenwerk »Zettel's Traum« ein gutes Stück weiter. Mehr dazu in meinem zweiten Lektürebericht.
Fertig gelesen habe ich Joe R. Lansdales »Kahlschlag« und bin überaus zufrieden damit. Auch hierzu hoffe ich, bald eine Rezension liefern zu können. Der Roman hat mir wieder Mal klar vor Augen geführt, was mir bei vielen Fantasy- und SF-Genrestoffen prinzipiell missfällt: nämlich, dass viele phantastischen Genre-Stoffe gleich mit der großen Schicksalskeule aufwarten und sich bei ihnen die Handlung mindestens um die Rettung der Welt und den Kampf gegen das absolute Böse dreht. »Kahlschlag« spielt dagegen ›nur‹ in einer kleinen Welt, der Sägewerksiedlung Camp Rapture und dem boomenden Ölfeld-Ort Holiday, irgendwo im Ost-Texas der 1930-Jahre. Äktschn-mäßig passiert zwar viel, und Lansdale versteht es, mit einem abwechslungsreichen & starken Figuren-Ensemble aufzuwarten, aber die Handlung dreht sich eben ›lediglich‹ darum, dass Menschen mit den harschen Bedingungen des ländlichen Lebens und den Widrigkeiten, die sie sich einander antun, zurande kommen müssen und versuchen, so gut es geht Recht und Ordnung zu wahren.
Nun lese ich seit dem Wochenende unterwegs »Gormenghast (1): Der junge Titus« von Mervyn Peake in der Neuausgabe, für die Alexander Pechmann die Übersetzung von Annette Charpentier überarbeitet hat, sehr zur Verbesserung des Buches, wie ich anhand der bisherigen Stichproben zu urteilen wage. Wenn alles so klappt, wie ich hoffe, dann werde ich Mervyn Peake neben Wolf von Niebelschütz zum Gegenstand meines Beiträges für das nächstjährige »Magira«-Jahrbuch machen.
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Film: Bin unglücklich in letzter Zeit. Das Angebot an englischsprachigen Filmen in Ffm ist seit dem Ende des »Turm Kino« dramatisch zusammengeschrumpft. Wahnsinnig gerne würde ich z.B. »Machete« von Robert Roriguiz sehen, aber der läuft nur in einem Kino, einmal am Tag (um 23:15!) und auf Deutsch. Muss ich also wieder bis zur DVD warten.
Auf DVD habe ich zwei Sichtungen vorgenommen: zum einen endlich »Walhalla Rising« gesehen. Im ›OliBlog‹ gibt es eine gute Rezension zu dem Film, und ich baue meinen dort platzierten Kommentar mal aus: Ich finde nicht, dass der Film keine Geschichte erzählt. Freilich erzählt er eine, sogar eine ziemlich komplexe, aber der Film erzählt eben nicht auf konventionelle Art. Neben der offensichtlichen Handlung (Kampf-Sklave befreit sich, tötet seine ehemaligen Peiniger, schließt sich zusammen mit einem Jungen einer Gruppe christlicher Wikinger an, die Jerusalem beistehen wollen; man treibt ziellos im Nebel umher, erreicht ein unbekanntes, wildes Ufer und sucht nach Halt und Ziel in der Fremde) tut sich schon eine Menge, aber eben non-verbal & betörend intensiv vermittelt durch die Bilder, den Sound und die Musik. Zudem wagt der Film offene Enden und Rätsel wie selbstverständlich unbeantwortet zu lassen.
(SPOILER/Was geschieht mit den nackichen Frauen-Sklaven im zweiten Kapitel?; Oder wie kommt es, dass ein Wikinger von den Naturwilden aufgenommenen wurde?/SPOILER-ENDE)
Was als Argument schnell mal als billige Entschuldigung für schlecht gemachte Stories angeführt wird, will ich hier als Lob und Anerkennung anwenden: dass nämlich einiges, vieles sogar der Phantasie des Zuschauers überlassen wird. Und da der Film so gut gemacht ist, verführt er dazu, dass man sehr intensiv in die damalige Zeit eintaucht. Zumindest mir scheint, dass dieser Film ein gnadenlos realistisches Bild von etwas vermittelt, das in Genre-Stoffen schnell mal verniedlicht, verkitscht und verharmlost wird.
— Punkte: Etwa 8 von 10.
Zweitens habe ich nun die lange (Extended Collector’s Cut) Fassung »Avatar« auf DVD. Obwohl die arg konventionelle Handlung, sprich: Vorghersehbarkeit, den Genuss schwächt, bin ich selbst überrascht, wie sehr mich »Avatar« begeistert. Schade nur, dass es in dieser Welt scheinbar (noch) nicht möglich ist, so einen Stoff bei dem Aufwand für Ab-16 oder Ab-18 zu produzieren. — Die ca. 20 Minuten längere Fassung meiner DVD beginnt in einer Megametrople auf der Erde. Sehr gut als Kontrast zur späteren Natur-Buntheit geeignet. Die Ankunft auf Pandora war alles noch der ›übliche SF-Genre-Bombast‹. Als der Rollstuhlfaherer Jake später dank seines frischangezogenen Avatar-Körpers genießt, wieder rennen zu können, hatte ich zum ersten Mal im Verlauf des Filmes dieses wunderbare erhebene Gefühl, weshalb man wohl in diese Art von Film geht: Kloss im Hals wegen ansteckender Freude an der Freude der Figur. Da hat es ›Klick‹ gemacht und der Rest funktionierte prächtig bei mir.
Der Weltenbau ist in jeder Hinsicht ein Wahnsinn!!! Sicherlich das beste auf diesem Gebiet seit LOTR, nur thematisch und stilistisch viel näher bei meinen persönlichen Vorlieben. Die Darsteller sind durch die Bank gut. — Der Star des Filmes ist für Stephen Lang. Mir ist der Schauspieler sonst nur noch prägnant als unglücklich verliebter schwuler Gewerkschaftsaktivist aus »Last Exit Brooklyn« in Erinnung (»Public Enemy« hab ich komplett verdrängt) und bin mehr als baff von seiner Darstellung des Security-Chefs. — Positiv aufgefallen ist mir zudem, dass es keine ›Bösewichter‹ gibt, sondern nur Figuren, die konsequent ihren eigenen Erfahrungen (Traumas?) gemäß handeln.
Ein Ärgernis ist für mich die zu weichgespülte Musik von James Horner, vor allem sein ermüdender Einsatz des Trompeten-Motivs, das Horner schon tausendmal als ›Gefahr in Verzug!‹-Zeichen eingesetzt hat (und ich finde es oberätzend, wenn man mitten in einem Film, hier »Avatar«, an andere Filme, z.B. »Krull« und »Willow« erinnert wird). Und ein, zwei Mal war der ›Eingeborenen‹-Schmalz etwas zu heftig für meinen abgebrühten Geist.
— Punkte: Etwa 9 von 10.
Netzfunde
Peter Sloterdijk hat für ›SpOn‹ den Debatten-Text Der verletzte Stolz vorgelegt und macht damit wieder mal, was er gut kann, nämlich Antike und Gegenwart aufeinander beziehen und lässt dabei z.B. dem dummen Westerwelle-Geblah von der heutigen ›römischen Dekadenz‹ die Luft raus.
›Telepolis‹ hat mit dem Wirtschaftswissenschaftler Franz Hörmann gesprochen: Finale Krise des Finanzsystems im nächsten Jahr?. Hörmann ist einer der sympathischen Vertreter seiner Zunft, da er gerade heraus feststellt, die Mainstream-Wirtschaftswissenschaften seien Quark, Herrschaftspropaganda und alles andere als Wissenschaft.
Lehrreiche Veranschaulichung von ›The Map Room‹: Zehn Jahrhunderte in fünf Minuten. Leider hat man vergessen, irgendwo die Jahreszahl einzublenden. Aber damit lässt sich dieser Clip formidabel für ein kleines Wissensquiz in trauter Runde verwenden.
›Art & Letters Daily‹-Redakteur Denis Dutton hat 2009 »The Art Instinct« vorgelegt, und bei ›TED‹ gibt es nun einen ca. 15 Minuten langen Vortrag zu eben dem Thema dieses Buches: A Darwinian theory of beauty (›Eine darwinistische Theorie der Schönheit‹). Glorioserweise hat RSAnimate-Künstler Andrew Park mitgeholfen, die Theorie zu veranschaulichen!
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Eintrag No. 672 — Prolarifari: Entdeckt habe ich Arno Schmidt (= AS) über das ›Magazin für jede Art von Literatur‹, »Der Rabe«.
(Mein erster »Rabe« war die No. 20, »Der Film-Rabe«, aber begeistert von diesem, habe ich damit begonnen, alte Nummern des Magazins nachzukaufen. So fand ich die ersten beiden Schmidt-Texte, an die ich mich erinnern kann, in der nachgekauften Nr. 9, »Der klassische Rabe«, und der Nr. 5, »Der philosophische Rabe«. Ich meine natürlich AS heftige Beschimpfung des Literatur-Nobelpreises »Stigma der Mittelmäßigkeit« und sein zündendes Un-Glaubensbekenntnis »Atheist? : Allerdings!«.)
Bald darauf erstand ich mein erstes Arno Schmidt-Buch: »Deutsches Elend«, eine glänzende Ergänzung, wenn man, wie ich als Teen, gerade dabei ist, sich mittels Scheibenwischer, Sigi Zimmerschied, Gerhard Polt und Großwerden unter FJS, seinen Amigos, sowie dem ewigen Kandesbunzler Helmut dem Kohl, in HeimatEkel zu üben; — Und die erste Prosa, die ich dann von ihm verköstigt habe, waren »Leviathan« und »Gadir«, zwei Texte, die ich seit dem, wie so manches andere von AS, mehrmals gelesen habe.
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Dienstag, 19. Oktober 2010: Gelobt sei mein liebes Weib, dass von dort, wo mein Exemplar der Studienausgabe von »Zettel's Traum« angeliefert wurde, das schwere Ding nach Hause, also mir entgegengewuchtet hat. Hörte die Arme schon treppauf kommend stöhnen unter der Last von »Zettel's Trumm«. Nun also endlich meins. — Habe Jahrzehnte gewartet. Als Teenager viele Wochen lange Nachmittage nach der Schule damit rummgebracht, in der Stadtbücherei die Faksimile-Ausgabe zu durchstöbern. Vom Anfang weg kam ich damals nicht weit. Aber beim Herumblättern blieb ich hängen bei der Passage über die Panoramen-Kunst und ihren Einfluss auf Poe und Verne (in Buch 2: »In Gesellschaft von Bäumen«). War schwer beeindruckt.
(Gedankenspiel, das mich schon lange Zeit belustigt: Was hätte Arno Schmidt wohl angestellt, wenn er länger gelebt und noch einen PC in die Finger bekommen hätte, er also z.B. mit einem frühen Version von QuarkXPress seine Textlandschaften zurecht formatiert hätte.)
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Dienstag, 02. November 2010 – Wortmeldung im ›Schauerfeld‹-Blog: Bisher fruchtbare Lesehaltung (und ich habe nun Jahre nix längeres von AS gelesen, sozusagen gefastet für ZT): Jeden Tag 2 bis 4 Seiten. — Vieles muss man eben nicht lesen, sondern hören, dann sind auch die ganzen Verrätselungen nicht kryptisch, sondern einfach nur Gewohnheits-, also Einlese- & Tuning-Sache.
Zu den »Was soll das Zettels Trumm?«-Fragen will ich einfach mal auf Stellen hinweisen, die mir autopoetische Schlüssel zu sein scheinen. — Meine Prämisse: AS schreibt über einen DichterPriester (= DP) durchaus so selbstgewahr (selbstgewirr), zu wissen, selbst ein DP zu sein (oder sein zu wollen, bzw. für einen gehalten werden zu können).
{…} DP's. Mein Haupteinwand gegen sie wäre : daß sie, vor lauter mystischer Apartheed, nich mehr imstande sind, den einfachsten Gegenstand {…} als solchen zu schildern
(S. 23) Und was unternimmt AS (nicht erst seit ZT)? Er schildert einfache Gegenstände, wählt kleine Welten und verwandelt sie in viel (komplizierten) Text. Wie Joyce zeigt er, dass ein Tag 1000 Seiten und mehr Stoff hergibt, wenn man verwandelnd und detailver- & besessen vorgeht.
{…} »ss doch scharfsinnig genug! {…} Das sind diese Leute Anderen gegenüber arg gern – und wenn sich's um abgespaltene Selbstportraits handelt. {…} Jetzt auch noch die Auflage: EDGAR POE zu sein. ! Wenn man über 50 noch etwas Mittelgroßes leisten will, muß man sein Leben aufs Spiel setzten.
(S. 26) Na wenn das nicht Selbstironie ist, was dann?
Die Bejahung der Vielsinnigkeit {…} auf Traumbasis zu schreibn also; leistet einer Mehrstimmigkeit im höchsten Maße Vorschub.
(s. 39) Siehe Details. Oder ganz banal: AS, Fan von Genre- & Reise-Abenteuern hat unter anderem seinen Spaß damit, beim Übersetzen mit Pschüchologie-Besteck im Poe zu puhlen. — Siehe auch Explizierung:
»Du reitest auf FREUD rum, geldt?«
(s. 44) — Beiseit: vielleicht ist das ›geldt‹ ein Deut auf die schelmische Spekulation, warum die ZT-auflage die anvisierte Versteh-Leserzahl 400 überstieg, weil man eben darauf baute, dass viele viele Psychoheinies von dunnemal ZT ›ernst‹ nehmen würden. — (Siehe auch: AS, der verkannte Kalauer-Humorist der eine Vielsinn-Douplone nach der anderen münzt… für andere dann halt nur die hinlänglichsten Altherrenwitz-Prallinen der willhelminischen Muff-Welt.)
Kurz: ich versuche AS genau so unernst zu nehmen, wie ich muss, um mich auf ihn als Mensch, bzw. als Schelm, als Besessenen einzulassen. Auch mich überkommen bei AS-lektüren ab und an Phasen, wo mir seine Schreibe, genauer: seine Getriebenheit, sein Wille zum Elitarismus unangenehm werden. Aber die Grundresonanz von AS zu mir rüber, was ich so über die Zeiten zu vernehmen glaube, ist mir sympathisch. Wäre das (Spät)Werk von AS zugänglicher, einfacher und wohlproportionierter geraten, wenn er sich nicht aus der einen Art Beengungen in (s)eine selbstgewählte geschrieben hätte? — Sehr vermutlich. Sicherlich.
Arno Schmidt: »Zettel's Traum« (1970, Faksimilie Erstausgabe); typographisch von Friederich Frossman gesetzte Studien-Ausgabe; 6 Bücher in vier Teilbänden mit insgesamt 1530 Seiten; Arno Schmidt-Stiftung im Suhrkamp-Verlag 2010; ISBN: 978-3-518-80300-4.
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