Eintrag No. 715 — Nachdem ihr letzte Woche wegen meiner Verballertheit bis Donnerstag auf den Rückblick warten musstet, hab ich mich gesputet, diese Woche aber ganz sicher gleich am Dienstag, bevor ich zur Arbeit aufbreche, den dieswöchigen Rückblick abzuschicken (05:54 Uhr).
Lektüre: Vorgestern »Embassytown« beendet. Wahnsinns-Teil. Soweit ich im Moment abschätzen und sagen kann vielleicht mein Liebslingsbuch von China Miéville neben »The Scar« und »Iron Council«.
Netzfunde
Mein Held der Woche! Auch wenn die Sache ziemlich sicher versanden wird, beruhigt es mich, dass der Hamburger Arbeitsrichter Heinz Uthman Anzeige wegen (öffentlicher) Billigung von Straftaten gegen Kandesbunzlerin Merkel erstattet hat, wie Daniel Kummetz für die ›Taz‹ berichtet: Ein Jurist erregt sich.
Meine (ich glaube) erste Verlinkung auf einen der ›SpOn‹-Blogger, natürlich Herrn Georg Diez (Der Kritiker), der in seinem Beitrag Träumen von »Xanadu« wunderbar über die Miesheit deutschen Fernsehens schreibt (Hervorhebung einer besonders gelungenen Analogie von Molo):
Die Kombination von Verachtung und Feigheit, mit der die deutschen Fernsehmacher ihr Publikum betrachten, hat dabei durchaus politische Konsequenzen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen vertieft in seinem Fiktion-Bereich die gesellschaftliche Spaltung, die es in seinen Polit-Magazinen beklagt. {…} Es ist eine ZDFisierung der Verhältnisse, die das Land in Seher und Nichtseher teilt.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Da ich derzeit ja nicht zum Rezischreiben komme, beruhigt es mich, dass ich auf Anubis’ Begeisterungs-Meldung in seinem Blog ›Lake Hermanstadt‹ zu China Miévilles vorletztem Roman »Kraken« hinweisen kann
Zuckerl
Tito hat in den 60ern und 70ern (unter anderem) Denkmale errichten lassen, um an Schlachtfelder oder Konzentrationslager des 2. Weltkrieges zu erinnern. Hier eine Auswahl mit 25 Jugoslawischen Monumenten, die ›Crack Two‹ zusammengestellt hat.
Hier eine Mappe des Künstlers Ramil Aliyev. Wunderschöne Bleistiftarbeiten, Illustrationen und Konzeptentwürfe für Filmprojekte: Orientalische Fantasy.
›Ads of the World‹ stellt eine grenzgeniale Plakatkampagnie aus Litauen vor, für das Buchgeschäft Mint Vinetu (macht einen feinen Eindruck, das Ladenlokal). Mit bisher vier Motiven ermuntert die Werbeangentur ›Love Agency‹ aus Vilnius dazu, mal jemand anders zu sein: Mary Shelleys Frankenstein, Shakespeares Hamlet, H.G. Wells Unsichtbarer, und Cervantes Don Quixote.
Hier ein kleines Spiel, das kaum mehr ist als ein Reaktionstest, aber schön gestaltet und superblutig: Spike - A Love Story von Matzerath, vorgestellt von ›Newgrounds‹.
Eine historisch-satierische Photostrecke zum Thema U.S.-Spezialeinheiten, genauer Cats of War haben Holly Allen und Christopher Beam für ›Slate‹ zusammengestellt.
Dieser Mann ist wahnsinnig, aber das lässt ihn schöne Dinge machen. Einblick in seinen Arbeitsprozess gewährt der Künstlers Florian Bertmer in seinem Blog. Beispiele seines Könnens, die mir sehr sehr taugen, sind dieses Call of Cthulhu-Motiv; — dieses Hellboy-Filmposter; — und dieser Greebo.
Völlig Gaga, und ich glaube der erste Hinweis auf einen Font hier: das ›This is Colossal‹-Kunstblog stellt den Font Handschrift José Ernesto Rodriguez vor. Man nehme einen Kopierer, seine Hände und bringe seine Finger so in Stellung, damit man alle Zeichen bekommt, die man braucht. Erinnert an Schmelzvetika (oder wie der Font damals hieß).
Wenn Pixar-Animatoren bloggen, bzw. wenn sie Muttertags-Witzebild-Glückswunschkärtchen zeichnen, wie das Austin Madison, das er in seinem Blog ›Austin Translation‹ herzeigt: Alien Muttertag. Zum Quietschen schön!
Noch ein doofes Daddel-Zeug von ›Newground‹: Reimagine the Game. Im Grund eine Reihe kleiner Parodien auf bekannte Filme, Appleprodukte, Sängerinen usw., aber eben nett & gut gemacht.
Eintrag No. 710 — Nun also, mit einem Tag Verspätung, der Wochenrückblick. Ich bin derzeit für eine Woche in Berlin, um mich in der dortigen Phantastik-Szene zu tummeln. Gerade sitze ich in der »Brezelbar«, gleich gegenüber vom »Otherland«-Buchladen, wo ich endlich ›meinen‹Golkonda-Verleger Hannes Riffel kennen gelernt habe.
Jetzt lass ich es mal offiziell werden: Florian Breitsameter von SF-Fan hat sich in dem Thread »Was kommt da auf uns zu?« erfreut gefragt, was deutsche Leser aufgrund dieser Meldung des SF-Magazins »Locus« erwarten dürfen:
German rights to three stories from »Stories of Your Life and Others« by Ted Chiang plus the novella »The Merchant at the Alchemist's Gate« and the story »Exhalation« went to Golkonda Verlag, Berlin via Christian Dittus at Paul & Peter Fritz in Zuerich.
Mit der gebotenen Demut (aber auch völlig enthusiasmiert) kann ich verkünden, dass ich in den letzten Monaten für Golkona fünf Kurzgeschichten von Ted Chiang übersetzt habe, die im weiteren Verlauf des Jahres als Teil des Projekts, bemerkenswerte Kurzgeschichtensammlung neuer Science Fiction-Autoren anzubieten (nach David Marusek und Angélica Gorodischer) erscheinen werden. — Demütig bin ich, weil dies meine erste Arbeit als Übersetzer für einen Verlag ist, ich entsprechend nervös bin, was die beiden Korrekturleser mir an Rückmeldungen geben werden; demütig auch, weil ich hoffe, den feinen Geschichten von Ted Chiang gerecht zu werden; enthusiasmiert, weil diese Geschichte wunderbar sind, mir großartig gefallen, da sie wunderbare Exempel für das Genre SF (im Sinne von ›Speculative Fiction‹) sind. Da kommen zusammen: kosmologische Erkundungen in frühgeschichtlicher Epoche; eine Verbeugung vor den Geschichten aus 1001 Nacht; eine Erstkontaktgeschichte aus Sicht einer Linguistin; eine Gegenwart, in der es Engelserscheinungen gibt; zuletzt eine wahrhaft großartige Parabel anhand einer Roboterwelt. — Ich halte Euch auf dem Laufenden.
Hier nun die Links der Woche, diesmal ohne große Unterteilung. Ich hatte viel zu tun, deshalb kann ich keinen großen Fang bieten.
Netzfunde
Was es nicht alle gibt im Internet. Ein ganzes, langes Blog mit Bildern aus Filmen, in denen Computer vorkommen: Access Main Computer File.
Hübsch schräg geraten ist China Miévilles Vorschlag zu einer sechsteiligen Comic-Miniserie für Marvel: Scrap Iron Man (Altmetall-Mann).
Tolle Comic-Kunst bietet Dan Hipp in seinem Blog. Als erstes aufgestöbert habe ich seine Überkreuzung von Tim & Struppi mit Alien: Tin Tin: The Hugged Face, aber großartig finde ich auch diesen Hellboy.
Matt Roeser gestaltet für die Bücher, die er liest, eigene Umschlagsentwürfe, zu sehen in seinem New Cover-Blog. Finde ich sehr schade, dass derartig geschmacksvolles Design derzeit einfach nicht Mode bei den Verlagen ist. Wie gerne würde ich in einer Alternativwelt leben, in der Könner wie Roeser die offiziellen Titelbilder anfertigen.
Neues aus der deutschen Science Fiction-Szene: Uwe Post und Sven Kloepping haben ein Portal für Deutsche Science Fiction eröffnet. Bisher macht es einen guten Eindruck.
Makoto Azuma ist ein japanischer Blumenkünstler, der sehr seltsame Dinge mit Pflanzen anstellt. Hier ein paar Beispiele:
TOKYO FIBER '09 (Auftragsarbeit); — Black Pineeee (Auftragsarbeit); — Hand Vase (Privatarbeit); — Armored Pine (Privatarbeit).
Unter dem Titel Diese Suche ergibt keinen Treffer hat die ehemalige Community-Managerin von ›Der Freitag‹ , Teresa Bücker, für selbige Zeitung über ihre Erfahrungen berichtet. Als jemand, der selbst (für SF-Netzwerk) als Globalmoderator wurschtelt, spricht sie mir aus der Seele, wenn Frau Bücker schreibt:
Communities entstehen entlang von Interessen, Fragen oder ähnlichen Gewohnheiten, etwa dem Konsum von bestimmten Medien und Produkten. Für Außenstehende sind die Verhaltensweisen innerhalb dieser Gemeinschaften nur schwer zu fassen, denn homogene Verbünde neigen zu Gruppendynamiken und Riten, die codiert sind, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Der ausschnitthafte Blick auf digitale Gemeinschaften von „interessierten Beobachtern“ führt dann zu Fehlinterpretationen, zu stark selektiven Wahrnehmungen, an deren Ende steht: das Netz ist voller Rüpel, Dummköpfe, lichtscheuer Nerds, Magermädchen aus pro-anorektischen Foren oder passiver Sonntagssurferinnen.
Don Alphonso hat ein schiaches Haus in meiner unmittelbaren frankfurter Nachbarschaft dazu genutzt, ein paar orientierende Stilkritik-Watschen unter dem Titel Ornament und bürgerliches Verbrechen in seinem ›F.A.Z.‹-Blog »Stützen der Gesellschaft« anzubringen.
Nochmal ›F.A.Z.‹: Jetzt erst von mir entdeckt wurden die wunderbaren alliterierenden Non-Sense-Kurzkurzgeschichten Dudenbrooks von Jochen Schmidt, mit wunderschönen s/w-Illustrationen von Line Hoven. Hier geht es zum derzeit neuesten Buchstaben K wie Karla.
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Eintrag No. 703 — Es ist wieder so weit: Hier meine Votierungen der letzten Wochen im ›Wer ist Dir lieber?‹-Blog: Tom oder Jerry? (Na Tom natürlich. Wer den kleinen Mäuseschleimer mag, ist doof); — Henne oder Ei? (Hab ich darauf bezogen, was ich lieber esse, und auf die Schnelle für ›Ei‹ gestimmt, aus Sehnsucht, weil ich die kaum noch esse, wegen Colesterin; dann ist mir einfallen, dass ich Hähnchen auch gerne futtere und also besser mal für ›weder | noch‹ hätte stimmen sollen); — Karl Valentin oder Lisl Karlstadt? (Der Karl, nicht die Karlstadt, auch wenn die auch gut ist, aber der Valentin ist eben besser); — Karl Marx oder Friedrich Engels? (Marx, von Engels kenne ich nicht so viel).
Oscar-Nacht: Andrea und ich haben mit mehrfachen Wechseln von Streams geschafft, dieses Jahr mal wieder die Verleihung der Academy Awards anzuschauen; Andrea hat zudem den Abend die Nacht dazu genutzt, ihre Twitter-Zwitschermuskeln zu trainieren.
Folgende acht Oscars habe ich richtig geraten: Natalie Portman als beste Darstellerin in »Black Swan«; — Bester Schnitt für »The Social Network«; — Beste Kamera für »Inception«; — Beste Kurz-Doku für »Strangers No More« (geraten); — Bestes Maske/Schminke für »The Wolfman«; — Beste Musik für »The Social Network«; — Beste Tongestaltung für »Inception«; — Beste Spezialeffekte für »Inception«.
Natürlich finde ich es total krass, dass »True Grit« keinen einzigen von seinen 10 Nominierungsoscars bekommen hat. Zumindest Hailee Steinfeld hätte einen als beste Nebendarstellerin verdient, und wohl eine bessere Rede gehalten als die sehr unsympathisch auftrentende Melissa Leo. — Geärgert hat mich auch, dass Tim Burtons für mich bisher schwächster Film, »Alice im Wunderland«, mit zwei Oscars geadelt wurde; einmal für die künstlerische Leitung (und hier wären »True Grit« oder »Inception« m.E. würdige Preisträger gewesen), zum zweiten für die Kostümgestaltung (wiederum halte ich »True Grit«, aber zudem auch »The King’s Speech« für geeignetere Empfänger des Preises).
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Absolut großartig finde ich diesen offenen Brief von Fantasy-Autor Patrick Rothfuss. Nachdem ›Serenity‹-Kaptain Nathan Fillion in einem Intervew äußerte, dass er, wenn er die Kohle dafür hätte, vom Sender Fox die Rechte an der brillanten SF-Western TV-Serie »Firefly« kaufen würde, damit die leider und dummerweise zu früh abgesetzte Serie weitergedreht werden könne, bot sich Rothfuss als geldgebender Unterstützer dieses Vorhabens an, da er voraussichtlich mit seinem zweiten Roman seiner überaus erfolgreichen »Königsmörder-Chroniken« mehr Geld verdienen wird, als er weiß, was er damit anfangen soll.
Durch eine Meldung im ›Lake Hermanstadt‹-Blog bin ich zuerst über die ersten Entwürfe der neuen Umschlagsgestaltung des englischen Stammverlages Panmacmillan für die Taschenbücher von China Miéville gestolpert … aber da war das alles noch nicht fix. Mittlerweile sind die acht neuen Cover sogar bei Amazon eingepflegt und die neuen Ausgaben werden zum Erscheinen des nächsten Romans von Miéville, »Embassytown« (seinem ersten SF-Flick) im Mai auf den Markt kommen. Da meine englischen Ausgaben von Chinas Büchern größtenteils durchs Mehrfachlesen ziemlich zerfleddert sind, komme ich wohl nicht umhin, mir diese feinen neuen Ausgaben zuzulegen. — Einen schönen Überblick, mit großen Bildern, bietet das englische Blog ›The Wertzone‹ von Adam Whitehead: New China Mieville cover bonanza. — Hier kleiner und anders sortiert meine Vorschau:
Die ›Weird Fiction‹-Romane mit Abenteuern aus der Welt Bas-Lag:
Der Debütroman »King Rat«, die Kurzgeschichtensammlung »Looking For Jake« und das Jugendbuch »Un Lun Dun«:
Der Phantastik-Krimi »The City & The City«, der London-Flick »Kraken« und der SF-Roman »Embassytown«:
Zuckerl
Mit Interlocked von NikitaL bietet ›Newgrounds‹ ein wahrhaft kniffliges Puzzlespiel. Wie lassen sich die einzelnen Teile so bewegen, dass man die ganze Figur auseinandernehmen kann? Die vierzehn ersten Puzzels habe ich vergleichsweise schnell gelöst. Von den sechs Hardcore-Puzzels habe ich erst eines geschafft.
Bei ›Boing Boing‹ kann man gucken, wie der TV- und Reiseschriftsteller Bob Harris sich bei einem Kurzaufenthalt in Singapur die Füsse von einem kleinen Schwarm ›Doctor Fish‹ (= Rötliche Saugbarbe) putzen lässt: The fish pedicure: a foot-holder's-eye view.
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Eintrag No. 682 — Diese Woche mal mehr Kunst, Literatur & Zuckerl und weniger Politik & Religionskritik. Privat tut sich nicht so viel. Ich bossle an meinem Eintrag zu den »Alien«-Filmen, & übersetzte Texte aus dem Amerikanischen. Beobachte misstrauisch, wie die Sonne an einem Tag bei niedrigen Temperaturen scheint, am nächsten Tag der Schnee bei noch nierigeren fällt, am übernächsten wieder alles wegschmilzt, als ob nichts gewesen wäre. — Die Enten am Main scheinen in den Wintermonaten von Jahr zu Jahr übermütiger zu werden, was ich ganz allgemein für ein gutes Zeichen halte, es fragt sich nur, ob es auch ein gutes Zeichen für die Menschheit ist.
Lektüre: Wie gehabt, Mervyn Peakes »Gormenghast« und Arno Schmidts »Zettel’s Traum«. Bei Schmidt bin ich mit dem ersten Teil von sechs durch und schnitze nun an meinem zweiten Lesebericht. — Neu hinzugekommen sind Comic-Sammelband 2 und 3 der achten »Buffy«-Staffel, sowie »Leibnitz - Leben, Werk, Lehre« von Kuno Fischer. Letzteres natürlich angeregt von Stephensons »Barock-Zyklus«, in dem Leibnitz eine wesentliche Rolle spielt. Unterwegs genieße ich seit einigen Wochen die englische Hörbuchfassung und hörte am Wochenende zum Beispiel die wunderschöne Stelle aus dem zweiten Band »The Confusion«, wenn Leibnitz den jungen Mathematiker und Newton-Adepten Fatio durch die Bibliothek von Schloss Wolfenbüttel führt, ihm ein Bücherrad zeigt und dabei die Unzulänglichkeiten linearer Ordnungssysteme erklärt
Netzfunde
Friedhelm Rathjen erzählt für ›Die Zeit‹ davon, wie es damals war, als »Zettel's Traum« als Faksimile-Druck erstmals erschien: PoePos Trauma.
Gigantische Neuigkeit. Eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe, war die englischsprachige Ausgabe von Wu Ming: »Manituana«. Wu Ming ist ein italienisches Autorenkollektiv, das vor Jahren unter dem Namen ›Luther Blissett‹ auch in deutschen Landen beachtlichen Erfolg mit dem in der Reformationszeit angesiedelten Agenten-Thriller »Q« verbuchen konnten. Ich verstehe absolut nicht, warum kein deutscher Publikumsverlag sich für die nachfolgenden Romane dieser dollen Autoren zu interessieren scheint. — Der obige Link bringt Euch zu Umsonst-Versionen von »Manituana«, dem ersten Teil eines Triptychs über die Heraufkunft der modernen Welt, in dem das Dreieck Nordamerika, Europa und Afrika die Schauplätze sind. In »Manituana« wird die Anfangsphase des amerikanischen Unabhänigkeitskrieges geschildert, größtenteils aus der Sicht der Bewohner der Six Nations, besonders aus der friedlich sich miteinander vermischenden Indianer und englischen Kolonisten.
Die Entwicklungen um Wikileaks interessieren mich natürlich auch, aber statt selbst etwas zu kommentieren, beschränke ich mich diese Woche darauf, auf die Übersicht Wikileaks und die Pressefreiheit von ›Perlentaucher‹-in Anja Seelinger hinzuweisen.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Frohe Kunde erreichte mich über den für 18. Januar 2011 angesetzten Neustart der Bibliotheka Phantastika. Sehnlichst vermisst habe ich neue Rezensions-Einträge. Ich freue mich schon sehr darauf, was das neue Team bieten wird. Erstaunlich finde ich, wie professionell allein schon der Trailer ist. Immerhin ist die BibPhant eine private Unternehmung und kein Marketing-Heckmeck.
Eine exemplarisch über-spoilte Rezension hat mein Missfallen erregt. Anzurechnen (und damit nachzusehen) ist Thomas Nussbaumer, dass wohl seine Faszination für China Miévilles »Die Stadt & Die Stadt« Ursache dafür ist, dass er viel zu viel von den Wendungen dieses Romans in seiner Rezension für die Phantastik-Couch verrät.
Zwei irre Link-Tips von Harald S. haben mich erreicht (1000 Dank dafür!): Einmal die steampunkig ausgestopften Tiere der Künstlerin Lisa Black; — und zum zweiten absolut beunruhigend grotesken aber auch faszinierend schönen Möbel-Kreationen von Michel Haillard.
Mein Vergnügen erregt der Künstler Rob Sato, weil er Phantastik jenseits der glatten Marketing-Formeln bietet. Auch so einer, der ein geeigneter Bas-Lag-Illustrator wäre.
Auch diese Woche wieder ein Daddel-Tipp aus dem ›Newgrounds‹-Fundus: Zombie Trailer Park. Ich schaffe einfach Stage 4 nicht.
Zum Team des wunderbaren ›That Guy With The Glasses‹-Portals gehört ›Spoony‹, dessen Filmverrisse mir bisher ab und zu schon ganz gut gefallen haben, aber nun hat er sein erstes Meissterwerk abgeliefert, indem er furchtlos »Highlander: The Source« auseinander nimmt.
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Eintrag No. 651 — Bin seit letzter Woche allein zuhause, denn Andrea brach zu ihrem Jahresurlab und Richtung Waldviertel auf. Am Wochenende, als ich von meinem Brotjob frei hatte, legte ich eine Übersetzungssession hin (heisst: von Freitag auf Montag nur zwei Mal ins Bett gegangen). Ich bin unfassbar dankbar für das Projekt. Kurzgeschichten, die mich wirklich erfreuen, von einer Vielfalt, die mich begeistert und beeindruckt zu übersetzten fühlt sich nun mal nicht wie ›Arbeit‹.
Nachteil (= Lektüre): Bin selber kaum zum Lesen gekommen, außer, dass ich mir die deutsche Ausgabe von »The City & The City« besorgt und darin herumgeblätert habe, um knifflige Stellen zu prüfen. Soweit ich gesehen habe, kann ich absolut nichts zum Bemäkeln an Eva Bauche-Eppers deutscher Fassung von »Die Stadt & Die Stadt« finden und empfehle den Roman allen, die gerne mal eine gelungene Mischung aus Krimi und Phantastik lesen wollen. Ich denke, ich kann es wagen, dieses Buch jetzt schon zur — leider! — unterschätztesten Neuerscheinung der Saison auszurufen, denn ›Dank‹ des schröcklichen Umschlagbildes und der kümmerlichen Platzierung in den Regalen (wenn meine Umschau in den Frankfurter Buchhandlungen halbwegs repräsentabel ist) wird sich kaum herumsprechen, wie gut dieser Roman ist.
Film: Immerhin war ich letzte Woche im Kino. Leider war ich so dumm, mir »The Sorcerer's Apprentice« anzutun. Ein langweiliger, vorhersehbarer und peinsam-harmloser Streifen. So etwa 3 oder 4 Punkte von 10.
Ganz interessant dagegen meine DVD -Sichtung von Christopher Nolans Erstling »Following«. Als kleiner, fieser Krimi durchaus gelungen (und als S/W-Film sowieso), wenn auch Nolan hier schon durch seine super-ernste und (unter)kühl(t)e Inszenierung leicht nervig auffällt, die auch seine späteren Filme meist kennzeichnet. So etwa 6 bis 7 von 10 Punkten
Schlimmer noch ist allerdings das Verhältnis von demokratischem Staat und wirtschaftlicher Macht, das hier zum Ausdruck kommt: {…} Der Geheimvertrag ist das Eingeständnis, dass der demokratische Staat gegenüber den wirtschaftlich Mächtigen nicht mehr das „Gewaltmonopol“ hat, das heißt sich nicht mehr mit hoheitlicher Macht durchzusetzen vermag, sondern dass er bestenfalls noch Verhandlungspartner gegenüber wirtschaftlicher Macht ist. {…} Da sitzen also auf der einen Seite die Regierung und auf der anderen Seite die Konzernbosse und klären per Telefon die Konditionen; und das Parlament darf dann bloß noch den geheimen Deal sozusagen der demokratischen Form halber absegnen.
Diesbezüglich habe ich mich bei ›lobbycontrol‹ der Unterzeichnungs-Aktion angeschlossen, man möge doch anstandshalber das Atom-Geheimabkommen widerrufen!
›ad sinistram‹ nimmt Sprachpansch in der Rubrik ›nomen est omen‹ unter die Lupe: »Gebär- und Zeugungsstreik«. — Ich verstehe ja folgendes nicht: wenn es einerseits zuviele Menschen auf der Welt gibt, und Menschen aus schlimmen Gegenden, wo das Überleben äußerst mühevoll ist, wegwollen, warum regen sich dann andererseits irgendwelche Anzugträger darüber auf, dass die ›richtigen Frauen‹ zu wenig gebähren? — Okey, ist sicherlich richtig, dass sich Akademikerinnen (zumindest wenn sie selbst einen gut bezahleten Job haben oder mit dem Gatten eine gute Partie gemacht haben) eher bessere Kinderpflege und Schulen leisten können. Das bedeutet aber nur, dass die Qualität der Kindererziehung stärker vom privaten Geld der Bürger und den Möglichkeiten, die es eröffnet abhängt, als vom Geld der staatlichen Gemeinschaft. Das fügt sich mit der Theorie, der ich anhänge, dass ein langfristiges Ziel ›des Kapitals‹ ist, den Bereich der Bildug zu ökonomisieren, und dass es bei diesem Ansinnen auf einem erfolgreichen Weg ist.
Nathalie Roller schrieb am 12. September für ›Telepolis‹ einen löblichen Artikel über grüne Krieger in den heutigen Metropolen: Die Gartenguerilla erobert die Städte.
(Deutschsprachige) PHANTASTIK-FUNDE
Neustart des Magazins für interantionale Science Fiction: Inter Nova. Ich wünsche viele interessierte Leser!
Wieder ein Umsonst-Lesetip für alle, die noch zuviel Zeit haben: Digital Comic Museum.
Ein youtube-Filmchen, in dem Daten augenfällig aufbereitet wurden, und das damit höhere Zusammenhänge anschaulich macht. Scott Manley Asteroid Discovery from 1980 - 2010. Scott Manleys Seite beim Armagh Obsertvatorium bietet weitere wissenschaftliche Animationen zum Thema Asteroiden.
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Eintrag No. 650 — Mache eine Phase von Spätsommer-Müdigkeit durch.
Spazieren gewesen, was ich bei leichtem Regen, kühl-milden Temperaturen sehr gerne tue. Einmal den Frankfurter Grüngürtel entlang, mit einer Zwischenstation bei meinem Comicdealer des Vertrauens, um mir den ersten Sammelband von »Preacher« auf Englisch zu holen.
Meldung: Ich will einen Haufen Sachen loswerden, unter anderem Einzelheft-Comics. Hier also schon mal verkündet: wer »Preacher komplett als Einzelheft haben will, soll sich melden und einen Tauschvorschlag machen (siehe z.B. Amazon-Wunschliste; zumindest die Porto-Kosten sollten wieder reinkommen; und ich lege keinen Wert Tauschobjekte zum vollen Neuwarenpreis). Ich habe keinen Bock mehr auf diese Art der Comic-Aufbewahrung, sondern werde mir die Trades anschaffen. »Preacher« ist eine abgeschlossene Geschichte und umfasst 66 Hefte, sowie einige Specials. — Ebenfalls loswerden will meine Einzelthefte von »Transmetropolitan«, von denen ich allerdings nur Heft 1 bis 48 der insgesammt 60 Hefte bieten kann.
Ebenfalls abzugeben habe ich einen kompletten deutschen »Der Drachebeinthron« von Tad Williams als Fischer Taschebuch (mit handschriftlichen Inhaltsverzeichnis) sowie einen kompletten englischen »The Dark Tower« von Stephen King als Taschenbuch. — EDIT-AKTUALISIERUNG 11. Sept. 2010: »Drachenbeinthron« und »Dark Tower« sind vergeben.
Film: Habe mir die Filmklassiker »Luftschlacht um England« (kenne ich noch nicht) und »Gesprengte Ketten« (kennen ich, aber lang nicht mehr, und noch nie im Original gesehen) besorgt.
Auf DVD gesehen habe ich mittlerweile:
»The Book of Eli«: Ganz nett anzuschauen, etwas langsam und fad und am am Ende mir deutlich zu christlich-wunderlich; ca. 6 von 10 Punkten (= Plus 1).
»Daybreakers«: Es macht Spaß Darsteller wie Sam Neill, William Defoe und Ethan Hawke in so einem SF-Vampir-Flick zu sehen, leider ist der Streifen aber zeimlich doof; ca. 4 bis 5 von 10 Punkten (= Minus 1 oder 2).
»Pandorum«: Besser als ich erwartet habe; ein feiner SF-Thriller zum Thema Generations-Schiff; ca. 7 von 10 Punkten (= 2 Plus).
NETZFUNDE
Über das von Neal Stephenson geleitete Gruppen-Schreibprojekt »The Mongoliad« habe ich bereits in Wochenrückblick 3 berichtet. Nun gibt es erste Inhalte. Ob ich ein Abo nehme, weiß ich noch nicht. Bisher sieht die Sache ganz reizvoll aus.
Cheryl Morgan hat ein neues Webzine gegründet, und in der ersten Ausgabe von ›Salon Futura‹ gibt es ein interessantes Interview mit China Miéville. Miéville erzählt unter anderem aufschlussreich über seine Schreibarbeit, z.B. wie er es anstellt, zwei sehr unterschiedliche Bücher wie »The City and the City« und »Kraken« nebeneinander her zu schreiben.
Zum zweiten Mal bietet die Schirn Kunsthalle Frankfurt eine ungewöhnliche Reihe von 20 Aktionen in 20 Tagen unter dem Titel »Playing The City«. Es geht los am 8. September und ich empfehle allen, die sich für moderne Aktions-Kunst interessieren und Frankfurt besuchen können, vorbeizuschauen. Die Grundidee von PTC dreht sich um die Problematik (und zeigt entsprechende Angebote), wie Kunst in den öffentlichen Raum und in gesellschaftliche Prozesse eingreifen kann. Entsprechend wird es ›Guerilla‹-Aktionen geben, die auf den ersten Blick nicht als ›Kunst‹ zu erkennen sind, die Irritation provozieren und damit ein Appell sein sollen, aus dem Alltagstrott herauszutreten und die Wirklichkeit neu zu sehen, auch um sie besser zu gestalten.
(Deutschsprachige) PHANTASTIK-FUNDE
Letzte Woche habe ich auf eine englische Konfektsammlung mit SF-Genre-Definitionen hingewiesen. Darauf hin bekam ich einen netten Hinweis von SF-Netzwerk-Haberer t.sebesta, der auf seiner Website eine umfassende deutschsprachige SF-Definitions-Sammlung bietet. Vielen Dank für den Tipp!
Oliver Kotowski von ›Fantasyguide‹ beeindruckt mich wieder einmal. Für die Homepage von ›Fantasyguide‹ hat er eine Rezension zu Hal Duncans »Signum« geschrieben (dem zweiten Band des »Ewigen Stundenbuches«) und kommt zu keinem positiven Urteil, was ihn selbst umtreibt und so hat er dann für das Blog von ›Fantasyguide‹ einen löblichen Eintrag über »Die Traurigkeit des Rezensenten« verfasst, wenn man eigentlich große Sympathie für ein Werk empfindet, ihm aber dann doch eine schlechtere Note geben muss, als einem selbst gefällt.
ZUCKERL
Bin über ein kurzweiliges klassisches 8-bit-Spiel gestolpert, richtig gute alte Schule, drei Level mit einem Flugzeug Feinde ballern, und wenn die geschafft sind, gibt’s ein Superflugzeug und einen Survival Modus: Tom Clancys H.A.W.X. 2 Mini Game. Sieht aus und klingt wie ein Commodore 64-Spiel.
Es gibt ja unzählige Tarotkarten-Versionen und seit sehr langer Zeit hat mich keines beeindruckt (zuletzt vor einigen Jahren diese minimalistische Fassung der Großen Arkanum-Karten von John Coulthart, perfekt geeignet für den modernen Großstadt- oder Firmenmagier). Als Freund von zeitgenössischer surrealistischer Phantastik gefällt mir nun das Low Brow Tarot ziemlich gut, das von der Website ›Hi-Fructose‹ präsentiert wird.
Einen neuen Genre-Phantastik-Künstler habe ich entdeckt: zuerst das Blog, dann die Portfolio-Site von Sean Andrew Murray. Der wäre ein hervorragender Bas-Lag-Illustrator, folgt er doch zum Teil der Tradition eher exzentrischer Form- und Strukturbehandlung, für die z.B. Ian Miller ein typischer Vertreter ist. Geht mal stöbern bei Sean. Es lohnt sich!
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Eintrag No. 645 — Diese Woche gibts viel Zuckerl. Keine nennenswerten Ereignisse bei mir diese Woche, außer, dass ich die Molochronik bei Flattr angemeldet habe.
Flattr ist ein Weg, mit kleinen Gutschreibungen einen Internetbeitrag zu entlohnen. Wer bei Flattr angemeldet ist und über ein Guthaben verfügt, kann derweil einmal im Monat der Molochronik etwas spenden (siehe Flattr-Button oben in der rechten Säule). — Sobald ich dazu komme, werde ich die aufwendigeren ›de luxe‹-Einträge der Molochronik mit eignen Flatter-Buttons ausstatten. — Und ich freue mich natürlich, dass ich nach drei Tagen schon einmal geflattert wurde (kein Vergleich freilich zu wirklich beliebten Websites).
NETZFUNDE
Spannend ist der Briefwechsel von Marvin Oppong mit der Stadt Duisburg den »Carta« bietet. Oppong will Einsicht in die Genehmigungsunterlagen der Love-Parade, die so tragisch-tödlich verlaufen ist. Die verschiedenen Behörden mauern, unterschiedliche Auffassungen des Informationsfreiheitsgesetztes prallen aufeinander.
Leider hatte ich noch nicht die Zeit, ausführlich im neuen Gruppenblog der »F.A.Z.«, Deus ex Machina, zu stöbern. Dort soll berichtet werden …
… getreulich und mit Plaisir {…} von den göttlichen Internetmaschinen neuester Art, ihren Berechnungen unberechenbarer Weis- und Torheiten, und ihrem Wirken zum Gedeih und Verderb der menschlichen Art hienieden auf Erden {…}
Sehr gute Besprechung des Films »Agora« im Oliblog. Ich hab den Film im Kino gesehen, obwohl er ›nur‹ auf Deutsch lief. Auch wenn man sich bei der Nacherzählung des Martyriums der durch Fundi-Christen getöteten Bibliothekarin von Alexandria große Freiheiten die historischen Details betreffend genehmigt hat, bietet der Film ein bewegendes Drama und versteht es, weltanschauliche Streitfragen und ihre Verquickung mit einzelmenschlichen Zwängen ergreifend darzustellen. Allen Jungfrauen beiden Geschlechts zur inniglichen Beherzigung anempfohlen
Interviews mit zwei von mir sehr geschätzten Autoren habe ich diese Woche entdeckt: einmal spricht »io9« mit China Miéville über seinen neuesten Roman »Kraken«, warum er Joss Whedons Zeug mag und J. J. Abrams’ Zeug nicht; — und zweitens hat Matt Ruff der Seite »The Author Speaks« Fragen beantwortet, z. B. zum ›Lustiger Schwarzer Kerl‹-Klischee in Äktschnfilmen und seinen nächsten Roman »The Mirage«.
»Inception« ist einer dieser Filme, die das Publikum zum Deuten herausfordern. (Gehört zu den großartigsten Dingen, die ein Film fürs Massenpublikum leisten kann. Statt hinterher nur darüber zu babbeln, was cool, was nicht cool war, werden die Zuschauer animiert, weiter zu fabulieren und philosophieren.) — Peter V. Brinkemper hat für »Glanz & Elend« eine ausführliche Rezension über Christopher Nolans »Inception« geschrieben, die ich als (im besten Sinne) schwurbelige, schwindelerregende Cinemaskopie-Poesie bezeichnen kann. Der Text hat mich beim ersten Lesen etwas verstörend amüsiert (hatte z.B. den Verdacht, der Text sei zu fremdwortversalzen), doch die Zweitlektüre versetzt mich in einen schmunzelnden Sprachrausch, durch Sätze wie folgenden:
In »Inception« sind Träume und Traumzustände lebendige Membrane von anwesenden und unsichtbaren, aber spürbaren Ereignissen, Träume werden durch Kollektivschaltung zu sanften oder heftigen Dramen, immer noch intersubjektiv beeinflussbaren Situationen und relativ klaren Bewusstseinszuständen, zwischen rationaler Konstruktion, gezielt eingreifender, dominanter Manipulation und unwillkürlich subjektiver Projektion.
Nix Neues, aber eben letzte Woche von mir entdeckt, nämlich dass es eine Web-Site zum Werk des grandiosen deutschen Zeichners Hans Georg Rauch gibt. H. G. Rauch ist vielleicht am bekanntesten durch seine Illustrations-Reihe ›ZEITzeichen‹ für das große Hamburger Wochenblatt. Ist aber schon viele Jahre her. Rauch kann Wimmelbilder schraffieren wie nur wenige. Vor allem seine Auseinandersetzungen mit Strukturen, den Themen Landschaft und Architektur sind atemberaubend. Leider sind die Wiedergaben im Netz oft zu klein für diese detailreichen Meisterwerke.
ZUCKERL
Der ›Nostaligia Critic‹ hat einen dreiteiligen »Animaniacs« Tribut erstellt, in dem er Glanzmomente dieser Cartoon-Reihe zeigt und mit den Autoren & der Autorin (die teilweise auch Sprecher bzw. Sprecherin einiger Figuren sind) einen ausführlichen & erhellenden Plausch geführt. Ein Muss für Freunde des höheren Blödsinns.
Habe die Seite Springfield Punks entdeckt. Hier entwerfen Freunde der Familie Simpson selbst ihre gelbhäutigen Springfield-Versionen bekannter Figuren, von denen es eben noch keine Simnpson-Version gibt. Hier z.B. die »Watchmen«-Hauptfiguren im Matt Groening-Stil. Kann man bitte mal den ganzen Comic so machen?
Apropos ›Comic machen‹: Mahendra Singh zeichnet phantastische Illustrationen mit klassisch-altmodischem Strich (erinnern mich an Emlematik-Zeichnungen und Max Ernst). Ich freue mich schon auf den von ihm zum Graphic Novel hoch-illustrierten Lewis Carroll-Schaffenshöhepunkt »The Hunting of the Snark«, der im November erscheinen wird. In Mahendras Blog »Just the place of a Snark« kann man den Werdegang der Illustration vom Mai 2007 an verfolgen. — Hier als Beispiel die Doppelseite 10/11 des kommenden Buches, aus dem ›Second Fit‹ (›Zweiten Krampf‹).
Eintrag No. 644 — Ich will nicht jammern, dass ich alt werde, aber derzeit spüre ich schon, dass ich einen BrotJob mit langen Schichten hab, Illustrationen für Propjekte zeichne, und Kurzgeschichten übersetzte. — Wobei ich mich sehr glücklich schätze, denn die Kurzgeschichten gefallen mir sehr gut.
Musik: Bin immer noch zu 90% in KlassikGefilden unterwegs, genauer: Barock. Habe große Freude mit den 4 Alben der Vivaldi’schen »Concerti da camera« in der Aufnahme von ›Il Giardino armonico‹. — Vergnüge mich dabei, verschiedene »Die Kunst der Fuge«-Aufnahmen zu vergleichen (überraschend gefühlvoll und schimmernd die von Jordi Savall & Hespèrion XX; — energisch und klar die von Reinhard Goebel & Musica Antiqua Köln; — episch orchestral hinbetoniert oder mit Stahlklingen-Cembalos geschweißt ist die Einspielung von Herman Scherchem & Wiener Rundfunk Orchester). — Neu hab ich auch eine Aufnahme von Francois Couperins »Les Nations«, wieder vom Jordi Savall.
Lektüre: Nach dem Doppelpack der dicken, heftigen Niebelschütz-Romane verpasse ich mir eine umfangreiche Sachbuch-Kur. Da ich nicht warten will, bis der neue Peter Watson auf Deutsch erscheint (und die US-Ausgabe deutlich günstiger UND schöner ist) habe ich mir »The German Genius« (Leseprobe) beim ›Readers Corner‹ besorgt. Peter Watson hat mich 2001/2002 mit seiner Kulturgeschiche des 20. Jahrhunderts, »Das Lächeln der Medusa«, und ebenso dann 2007 mit seiner großen »Ideen«-Menschheitskulturgeschichte für sich gewinnen können. — Nun geht es also um die letzten 250 Jahre deutsche Kulturgeschichte, ›von Bach bis Benedict XVI.‹ wie die deutsche Ausgabe trällert. Bisher habe ich mir die Overtüre und die Conclusio durchgelesen und kann sagen: taugt mir, was der gelahrte Herr Engländer da schreibt. — Hier eine Rezi der New York Times von Brian Ladd: Made In Germany, die zwar durchaus kritisch urteilt, dass »The German Genius« zuviel Sekundär- (statt der Original-)Stimmen sampelt, aber ich schließe mich nicht dem Urteil an, dass Watson zu trocken erzählt oder sein Buch von zuviel Namedropping erstickt wird. Da sind schon große Linien drin, die aus dem ganzen eine Story machen.
NETZFUNDE
Herzlichen Glückwunsch!!! zum sechsten Jahrstag wünsche ich Netzpolitik, aus meiner Sicht eines der wichtigsten Blogs in Deutschland. Markus Beckedahl blickt zurück und erzählt, wie Netzpolitik entstanden und gewachsen ist, und was er da versucht zu machen.
Neueste Ausgabe der »SF- und Fantasy-Rundschau« der österreichischen Tageszeitung »Der Standard«. Soweit ich weiß, die einzige Zeitung, die eine derartige Rubrik pflegt, noch dazu mit Blick auf interessante Neuerscheinungen des deutschen und englischsprachigen Marktes. Großes Lob!!! Zeus und die Zeitmaschine. Treffich die Anmerkung zur Eröffnung der Rezi zu Kai Meiers »Seide und Schwert«:
Einmal ganz allgemein gesprochen: Ein bisschen mehr Fantasie bei Plots und Worldbuilding dürfte es für meinen Geschmack in der Fantasy — und speziell dem eingeengten Spektrum, das auf Deutsch erscheint — ruhig sein.
Frank Drehmel hat für »Phantastik-News« eines meiner Lieblings-Fantasy-Comics rezensiert: den ersten Band der »Die Gefährten der Dämmerung«-Trio von François Bourgeon: »Im Zauber des Nebelwaldes«, neu editiert, exzellent übersetzt und gedruckt bei Splitter erschienen. Vor allem der voluminöse dritte Band hat mich vor vielen Jahren umgehauen.
Erik Schreiber ist einer der produktivsten Rezensenten der deutschen Phantastik-Szene. Manche winken ab, meinen, dass seine Besprechungen zu routiniert, zu unkritisch und zu ›flach‹ seien. Ich denke, dass Eriks Besprechung des ungeheuerlichen Artefakt-Buches »Das Haus« von Mark Z. Danielewski zeigt, dass, wenn sich Leser auf eine Lektüre einlassen, die mehr als nur eine anspornende Herausforderung, ja eigentlich eine Zumutung ist, wunderbare Leseerlebnisberichte die Frucht der Mühen sein können. Kurzum: Erik kann wundervolle Rezis schreiben, wenn dieser sagenhafte Schnell-Leser (er schafft ein, ab und zu auch zwei normale Taschenbuch an einem Tag) Bücher anpackt, die seine Lesemuskeln herausfordern.
WORTMELDUNGEN
Zuerst habe ich ja noch gedacht, ich platziere den neuesten Essay der »Phantastik-Couch« unter der Wochenrückblick-Rubrik »Rüge«, denn Andrea Bottlingers Text Die Zukunft der Fantasy erschien mir im Affekt erstmal nur ärgerlich schlecht aufgebaut. Dann aber dachte ich mir, ich melde mich besser erstmal mit paternalistisch-demütiger Besserwisserei im Blog von Frau Bottlinger und versuche auszudeutlen, was mit dem Essay meiner Ansicht nach im Groben nicht stimmt.
Wieder mal ist ein Artikel über Ayn Rand erschienen, diesmal am 5. August in der »FAZ« geschrieben von Ingeborg Harms: Sie sah den Übermenschen als Unternehmer. In den Kommentaren habe ich einen kecken Aphorismus, der in der englischsprachigen Welt herum-memt, zu Rands Werk übersetzt:
Es gibt zwei Romane, die das Leben eines büchernärrischen Vierzehnjährigen verändern können: »Der Herr der Ringe« und »Atlas wirft die Welt ab«. Der eine Roman enthält kindische Phantastereien, die oftmals eine lebenslange Obsession für seine unglaubwürdigen Helden hervorruft, und so seine Leser zu emotionell unterentwickelten, sozial verkrüppelten Erwachsenen werden lässt, die unfähig sind, mit der wirklichen Welt zurecht zu kommen. — Der andere Roman ist freilich der, in dem es Orks gibt.
ZUCKERL
Habe nach längerer Zeit mal wieder im »Moby Dick™«-Gruppenblog gestöbert. Natürlich verlange ich ab nun von jedem Amœnokraten-Anwärter, dass er alle Fragen eines Dilettanten mit einem Radio daheim für sich beantworten muss.
Karten sind ein wundervolles Mittel nicht nur fürs Zurecht- und Wegfinden in der materiellen Welt, sondern auch als Verbildlichungs-Instrument zum Sichtbarmachen immaterieller Dinge. Also, hier ist die 2010 Networking Map u. a. mit den LOL-Cat Inseln und den Google Informations-Sammel-Außenposten.
»Super Punch« bietet eine wunderbare kleine ›Ausstellung‹, mit künstlerischen Arbeiten die vom Werk China Miévilles inspiriert wurden: Dispatches from a Troubled City.
Hier hat ein echter Menschenfreund eine große Sammlung klassischer Entenhausen-Comics zusammengetragen. Ach, die Zeit möcht ich haben, mich auf Tage darin zu verliehren!
Flattrn Sie diesen Eintrag, wenn Sie der Meinung sind, dass er etwas wert ist.
Eintrag No. 637 — In Bericht dazu, wie ich beim diesjährigen Deutschen Phantastik Preis abgestimmt habe, entspann sich ein Gespräch über Unzufriedenheit mit dem Einerlei routinierter Rezensionen, Wünsche nach besserer Vernetzung oder Zusammenspiegelung der ›anspruchvolleren‹, oder zumindest ›interessanteren‹ Phantastik-Kritikertexte. Ob und was ich unternehmen werde um den gefühlten Mangel zu schmälern will ich nicht zerreden (Aberglaube Aberglaube), was ich aber ab jetzt im Wochenrückblick anbieten werde, ist die Rubrik »Phantastik-Funde« (oder »Fantastik-Pfunde«?).
NETZFUNDE
Riesenlanges zweiteiliges Interview mit Fiktions-Großmeister Alan Moore anläßlich des englischsprachigen Erscheinens des nächsten Kapitels seiner »League of Extraordinary Gentlemen«-Saga, »Century: 1969«. Teil 1: Bestiary of Fictional Worlds, Teil 1 und Bestiary of Fictional Worlds, Teil 2.
Solange ich selbst keine Rezi zu China Miévilles jüngstem Roman »Kraken« rummwachsen lasse, hier als Trost ein informatives und offenherziges Interview mit dem Meister, das Jason Heller am 15. Juli für AV-Club geführt hat: Toying Around With The Mack-Daddy Of All Zap-Guns (Titel von Molo vergeben, nach einer Stelle aus dem Interview).
(Deutschsprachige) PHANTASTIK-FUNDE
Myriel, die fleissige Leserin, lieferte am 22. Juli eine geschickte und lobende Rezi zu Oliver Plaschkas hervorragendem Roman »Die Magier vom Montparnasse«.
Ich finde es immer spannend, wenn ›Genre-Leser‹ über den Tellerrand gucken und Sachen besprechen, die ›eigentlich‹ nicht als Exemplar aus dem Reich der Phantastik gelten. Gutes Beispiel: Thomas Harbach hat für »SF-Radio« zwei Bücher von Uwe Tellkamp verköstigt, »Der Eisvogel« und »Der Turm«.
WORTMELDUNGEN
Habe mich im Blog des von mir sehr verehrten Verlages Klett-Cotta gemeldet, bei einem Info-Filmchen zur deutschen Ausgabe von Tolkiens »Sigurd und Gudrún«, um Parkettboden-Alarm zu gebenxnb
Als komisch deklariert, aber doch schon auch sehr nützlich, erklären diese Filmchen des »Japan Culture Lab« uns Langnasen, wie sich traditionsbewußte Japaner benehmen. (Leider habe ich nicht alle Filmchen der Serie mit englischen Untertiteln gefunden. Es fehlen also die Einträge zu ›Grünem Tee‹, ›Süßen Nachspeisen‹, ›Reiskloßkneten‹ und Teil 3 und 4 von ›Mann wirbt um Frau‹).
tejime (手締め): Jubel-Klatschen bei förmlichen Anläsen wie z.B. Shareholder-Versammlung oder Vertragsabschluss;
shazai (謝罪): Kunst der Entschuldigung in verschiedensten Härtstufen, je nach Schwere des Vergehens;
dogeza (土下座): Weil schwerer als die anderen Entschuldigungen, ein eigener Eintrag nur für das, was bei uns als ›Kotau‹ bekannt ist;
origami (折り紙): Die Kunst des Papierfaltens, mit einem spektakulären Kampf zweier Meister;
hashi (箸): Ess-Stäbchen, wie man sie trennt und hält;
sushi (鮨): Wie man ein Sushi-Restaurant betritt, dort bestellt und bezahlt. Mit englischer Synchronisation;
kosai (Mann wirbt um Frau), Teil 1 und kosai, Teil 2: Superkomplex. Leider kann ich Teil 3 und 4 nicht finden.
Eintrag No. 610 —Ist man bekennender Fanboy eines Autoren, bekommt man früher oder später Probleme damit, wenn man dessen verschiedene Bücher wertet. Kaum ein Schriftsteller bewegt sich auf einem ständig gleichbleibenden Exzellenzniveau (außer natürlich jenen, die sich im marktgefälligen Mittelmaß behaglich festgeschrieben haben), vor allem dann nicht, wenn besagte Schriftsteller gerne neue Wege einschlagen und zu vermeiden trachten, dass ihre einzelnen Werke sich einander zu ähnlich geraten.
Nein, damit sei keine Apologie angestimmt, die schönreden soll, dass dem englischen ›Weird Fiction‹-Jungmeister China Miéville (*1972) ein Roman missglückt ist, oder dass meine Fan-Erwarungshaltung mehr oder minder eklatant enttäuscht wurde. Aber dennoch muss ich eingestehen, dass mich »Un Lon Don« als Story nicht so wohlig-bratzig überwältigt hat, wie seine drei enormen Bas-Lag-Romane »Perdido Street Station«, »The Scar« und »Iron Council«. Kunststück, denn Bas-Lag wird wohl noch sehr lange einen ganz besonderen Platz nahe meines heiß lodernden Phantastik-Afficionadoherzens innehaben. Die Karten auf den Tisch gelegt kann ich also (leider) sagen: wie schon Miévilles Debüt »König Ratte« oder die ein oder andere Kurzgeschichte der Sammlung »Andere Himmel« durchbricht »Un Lon Don« keine Extraschallmauern der Qualität. Aber immerhin: besagte Ambition, mit jedem Buch etwas wirklich anders anzupacken verhilft auch »Un Lon Don« dazu als lesenswert gelten zu dürfen. Das Neue, das China diesmal wagt, ist, dem äußerst populärem Genre der Abenteuer-Phantastik für Jungleser zuzuarbeiten (oder wie es auf Neudeutsch genannt wird, der ›Jung Adult‹-Sparte), und wenn ich mich umschaue, was ich in den letzten Jahren auf diesem Gebiet mitbekommen habe, dann kann ich »Un Lon Don« als eine durchaus gelungene Bereicherung dieses wildwuchernden Gefildes würdigen.
In der Danksagung erwähnt Miéville viele Namen, aber ein paar sind mir besonders aufgefallen und eignen sich, Inhalt und Gebaren des Buches zu skizzieren: Clive Barker, mehr aber noch Michael de Larrabetti und Neil Gaiman haben dem im »Un Lon Don« angestimmten Thema eines phantastischen, seltsamen Anderswelt-London in ihren Werken bereits ausführlich zugearbeitet. Unschwer zu erkennen war für mich die Inspiration, die Neil Gaimans »Neverwhere« auf Chinas neustes Buch hatte, gibt es doch auch dort neben dem ›normalen‹ Allltags-London (London Above) ein befremdliches, undurchschaubar-magisches Neben-London (London Below) in dem sich vor allem aus dem Rahmen des Gewöhnlichen herausgefallene Figuren (und Monster) aus allem möglichen Gefilden der Vergangenheit und Stadtlegende tummeln. — Der Tradition von Michael de Larrabetti (von dem Miéville bereits als Jugendlicher selbst ein großer Fan war, wie ein in »Pandora 2« abgedruckter Text von China belegt) folgt »Un Lon Don« insofern, als dass es auch bei Larrabettis grandiosen Klassiker »Die Borribles« um ungezähmte Jugendliche geht, die gegen die Borniertheit und Gier der Autoritäten und besser gestellten Klassen aufbegehren. — Eine Überraschung war dann, auch den Namen des verehrten Zamonien-Meisters Walter Moers in der Danksagung zu erspähen. Doch eigentlich kein Wunder, denn einige seiner Zamonien-Wälzer wurden in den letzten Jahren ins Englische übersetzt (übrigens: lustig zu lesen), und dass China Miéville begeistert ist von Moers’ rand- und bandloser Frechdachsphantastik passt wie die Faust aufs Auge. Vor allem, die Art und Weise wie sich bei Moers Erzählung und Illustrationen brillant ergänzen hat es Miéville angetan und wohl unter anderem davon beflügelt hat er sich getraut selber zum Zeichenstift zu greifen und »Un Lon Don« ausführlich zu bebildern. Ein Hoch auf den Bastei Verlag, dass diese Illus auch in der deutschen Ausgabe geboten werden (wohingegen leider das Titelbild von Arndt Drechlser gröblichst enttäuscht).
Die schöne Zenna und die unauffälligere Debba sind beste Freundinnen und geraten langsam – durch mysteriöse Ereignisse, Unfälle wie auch durch die eigene Neugier – in eine verdrehte Welt jenseits des ›Absurdum‹ (engl. ›The Odd‹), nach Un Lon Dun. Alle Städte unserer Welt haben so ein seltsam-verdrehtes Zwillingsgeschwister, genannt Visavistädte: Lost Angeles, No York, Hongkaum und so weiter. Alles was in den wirklichen Metropolen dem Vergessen anheim gefallen ist, was verloren, aussortiert, abgeschafft, zerstört oder nie umgesetzt wurde, kommt in diesen Visavistädten mehr durcheinander als geordnet zusammen. Ganze Häuser werden in Un Lon Don aus entsprechendem Zeug zusammenimprovisiert, aus ›Graffel‹ (im Englischen: ›Moil‹ für ›mildly obsolete in London‹[01]). So werden zum Beispiel kaputte Hubschrauber zu Windmühlen umfunktioniert, oder ganze Gebäude aus nicht mehr funktionierenden Radios oder Schallplatten errichtet. Ein alter, überwunden geglaubter Schrecken, der Smog, ein zu Bewusstsein und Ambition gekommenes Abgaswolkenmonster, bedroht Un Lon Don und laut der Prophezeiung eines keineswegs unfehlbarem (aber ziemlich eitlem) Orakelbuches ist Zenna die Auserwählte Heldin, die den Smog besiegen wird.
Nun bin ich in der Zwickmühle, nicht offen loben zu können, ohne tolle Kniffe der Handlung zu verraten. So viel sei angedeutet, dass Miéville einigen Fantasy-Konventionen, die sich über die Jahre zur plattesten Routine eingeschliffen haben, gehörig vors Knie tritt und sie erfrischend kritisch ummodelt. Auf den Müll also mit empörendem Auserwähltheits-Schmu, weg mit der sanft-paternalistischen Allwissenheit von Magiern und ihren sprechenden Zauberartefakten, und wie ich finde am brillantesten: hinfort mit der beleidigenden Vorstellung vom Helden-›Sidekick‹ (übersetzt als ›Randfigur‹). Auch habe ich mich köstlich amüsiert, wie im Laufe der Abenteuer das Konzept der Queste genüsslich-brachial demontiert wird. So sehr ich den solcherart vermittelnden Appellen nickend zustimmen kann (Warte nichts auf das Schicksal, sondern gestalte nach nach eigenem Wissen und Gewissen die Welt; Nimm von bestimmungsmächtigen Autoritäten nicht alles unhinterfragt hin; Nicht Sinn suchen, sondern Sinn geben ist wichtig), muss ich doch kritisch einwenden, dass bisweilen dieser Impetus des Aufrütteln-Wollens ein wenig zu sehr … nun ja … mit dem Zeigefinger daherkommt. Aber Miéville ist nicht der einzige, dem solche Ausrutscher passieren, denn derartig ins Auge springende Gutmenschen-Lehren trüben auch bei Philip Pullman oder J. K. Rowling ein wenig den Spaß. Und wenn ich mal vergleiche, wie viele verschwatzte Seiten zum Beispiel der Töpferjunge braucht, um seine Message zu wuppen, dann strahlt »Un Lon Don« bemerkenswert helle auf. Wie auch immer, das beherzigenswerte Anliegen von »Un Lon Don« bringt vielleicht folgende Stelle auf den Punkt, wenn Debba sagt:
»Wenn Du wüsstest, dass irgendwo was Schlimmes passieren wird, aber die Menschen dort wüssten es nicht und glaubten sogar, es wäre etwas Gutes, aber du weißt, das ist es nicht und du weißt es nicht hundertprozentig sicher, aber eigentlich weißt du es schon, und du wüsstest nicht, wie du ihnen eine Nachricht schicken kannst und du hörst nie etwas von ihnen, deshalb würdest du nie erfahren, ob es geholfen hat, selbst wenn du ihnen eine Nachricht geschickt hättest …«[02]
Trotz der (für Miéville’sche Verhältnisse) leichten Schwächen, beglückt »Un Lon Dun« mit einem enorm kunterbunten Potpourri schräger Figuren, ungewöhnlicher Orte, pfiffiger Dialoge und berraschender Ideen. Meinen Respekt (und einiges Giggeln) heimst zum Beispiel Chinas Geschick ein, wie er ein banales Milch-Tetrapack mit Leben erfüllt; wie die zu Kreaturen gewordenen Wörter des Königs des Fasellandes (die Schwaflinge) rebellisch herumwuseln; wie ein Berufsabenteurer mit einem Vogelkäfig als Kopf (Rene Magritte läßt grüßen) den Protagonisten dabei hilft, ihren Weg durch ein Haus zu bahnen, in dem sich ein veritabler Dschungel samt Gewässern voller Piranhas befindet; wie aus alten Autos Boote und aus Büchern Klamotten gemacht werden; wie Extremlibristinnen von ihrem gefährlichem Job an den Innenhängen des Bücherturms erzählen; wie Mülltonnen als Elite-Kämpfer umherhüpfen (Englisch: ›Binjas‹). Was den Verlauf angeht, ist »Un Lon Don« bis auf den sich sachte in die Welt jenseits des Absurdum hineinsteigernden Beginn des Buches, eine gehörig atem- und ruhelose Hatz.
Ein Beispiel (von vielen möglichen) für die abwechslungsreiche Monsterschar gefällig? Hier die Beschreibung einer Ausgeburt des Smogs (zudem eine kräftige Stelle um das geschickte Händchen von Übersetzerin Eva Bauche-Eppers zu zeigen):
Die Smoglodyten waren fahl wie Leichenwürmer und farblos. Alle hatten sie entweder riesige schwarze, nur aus Pupille bestehende Augen, damit sie im schmutzig grauen Zwielicht des Smogs sehen konnten, oder gar keine. Alle verfügten über irgendeine Anpassung zum EInatmen der giftigen Melange, wie riesige Nüstern oder mehrere von diesen, um den wenigen vorhandenen Sauerstoff aus den Schwaden zu filtern. Deeba entdeckte ein Wesen, das an eine katzengroße Schnecke gemahnte und sie mit einem Strauß Stielaugen beobachtete. Der Rest des Kopfes war eine organische Gasmaske.[03]
Also, wem (mit Gesellschaftsengagement gewürztes) phantastisches Holterdiepolter taugt, besuche »Un Lon Don« und mache sich dann auf, sich einen eigenen Weg zur anderen Seite des Absurdum zu bahnen, um Perdülin, Krankfurt, Über-die-Wuppertal, Kaputtgardt, Entleibtzig, Verbaselt, Ham-wa-nicht-burg, Fortmund, Kainz und die anderen deutschsprachigen Visavisstädte aufzumischen.
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China Miéville: »Un Lun Dun«; Intro, Epilog, 9 Teile mit 99 Kapiteln auf 591 Seiten; mit ca. 100 S/W-Illustrationen des Autors; 521 Seiten; (UK-Ausgabe) Panmacmillan 2007; ISBN: 978-0-230-01627-9.
Deutsche Ausgabe: »Un Lon Dun«; Aus dem Englischen übertragen von Eva Bauche-Eppers;; Bastei Luebbe Taschenbuch 2008; ISBN: 9-7834-0420-5882.
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ANMERKUNGEN:
[01] In etwa: ›ein bisschen überflüssig in London‹. »Moil« bedeutet im Englischen aber auch, »sich {in einer Mine} abrackern«. Miéville, willkommener Pionier der ökologisch unbedenklichen Recycle-Fantasy! ••• Zurück
[02] Kapitel 36, »Zwischen den Zeilen«, S. 204. ••• Zurück